11.03.2019 Wofür stehst Du

Keine Panikmache, Giovanni di Lorenzo fragt, sucht und findet Antworten

von: GFDK - Reden ist Silber - Liane Bednarz

Ein Leseabend mit dem ZEIT-Chefredakteur im Münchner Lustspielhaus 2012.

Das Lustspielhaus unweit der Münchner Freiheit ist eine Kleinkunstbühne, ein Kabarett im Herzen Schwabings. Hier sitzt man an Tischen und diniert vor der Vorstellung. Axel Hacke, der zusammen mit Giovanni di Lorenzo den 2010 erschienenen Bestseller „Wofür stehst Du?“ geschrieben hat, tritt hier monatlich auf.

An diesem Abend im August 2012 aber ist di Lorenzo zu Gast. Um aus dem gemeinsamen Werk zu lesen. Das klingt vielversprechend, auch wenn der Titel des Buchs zunächst etwas abgegriffen wirkt.

von Liane Bednarz


Denn „Wofür stehst Du“? ist keine gestelzte Selbstveredlungsfibel. Keine pathetische Ode an die Tugend. Keine selbstgefällige Plauderei zweier arrivierter Herren. Nein, „Wofür stehst Du“ ist ein kurzweiliger und dabei mühelos tiefer gehender Gesprächsband in sieben Kapiteln:

Ehrliche und schonungslose Erinnerungen und Reflektionen, sich selbst und anderen gegenüber. Ja, selbst die Familie di Lorenzos kommt nicht immer gut dabei weg. Aber keine Angst, die Sache ist durchaus humorvoll gestaltet. Hier sind zwei echte Meister jener spitzen Selbstironie am Werke, die selten geworden ist.


Im vollbesetzten Publikum sind beinahe alle Altersklassen vertreten. Der Chefredakteur der ZEIT erscheint pünktlich um 20.30 Uhr auf der Bühne. Dunkler Anzug, weißes Hemd ohne Krawatte, dunkle Hornbrille. Lässige Intellektuellen-Eleganz.

Mit dem Nachtzug auf den fremden Planeten Hannover

Los geht es mit der Suche nach Heimat. Nach den eigenen Wurzeln. Es ist wohl so: Wenn alles unsicher wird, die Welt immer größer und unverständlicher erscheint, wird die Suche nach einem unverrückbaren Zuhause dringlicher. Eben nach diesem vielbemühten Anker im Treibsand des eigenen Seins in einer verrückter werdenden Welt. „Was ist Heimat“ titelte etwa DER SPIEGEL im April 2012.

Für di Lorenzo - Kind einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters - ist es ein echtes „Lebensthema“, wie er betont. Ist es auch sein Lebensdrama? Früh, zu Jugendzeiten nämlich, fühlte er sich einem regelrechten Kulturschock ausgesetzt.

Eine Folge des durch die Trennung der Eltern ausgelösten Umzugs nach Deutschlands. Das klingt dann so: „An einem kalten Wintermorgen landeten wir auf einem fremden Planeten namens Hannover. Wir waren mit dem Nachtzug aus Rom gekommen […].“ Gefühlte Heimatlosigkeit:

„Ich machte mich auf die Suche nach einem Stück Heimat in Hannover, aber ich fand nichts. Das Essen in den Pizzerien schmeckte anders als das in Rom […].“ „Im Hintergrund dudelte trostlose italienische Schlagermusik, die ich in Italien noch nie gehört hatte:

Mamma Leone, gesungen von einem gewissen Bino, und Tornerò von I Santo California.“ An den Tischen im Lustspielhaus hört man Lachen. Mit Melancholie Fröhlichkeit abzuholen gelingt nicht jedem. Hier klappt es auf Anhieb.

Sprache: Fremde oder Heimat?

„Heimat“ – das ist der Ort, die spezielle Region. Heimat aber kann, so erfahren wir, auch in der Sprache zu finden sein. Oder auch nicht. Denn Sprache kann ebenso zur Fremde werden, im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos machen.

Nämlich dann, wenn die Sprache am neuen Ort noch nicht richtig vertraut ist: „[…] aber ich spürte die Ohnmacht, wenn ich versuchte, etwas genauer zu beschreiben, und mir die Worte fehlten.“
Später, zu Abizeiten, als di Lorenzo bereits für die Hannoversche Neue Presse schrieb, wandelte sich das: „Meine Mutter und mein Bruder gingen zurück nach Italien. Ich blieb. Denn ich hatte endlich eine Heimat gefunden: die Sprache.

Es war ein schönes Gefühl.“ Sprache als Heimat. Ein schöner Gedanke. Das Publikum applaudiert. Ja, das klingt eben auch dankenswert integrativ, ohne belehrend zu sein. Das kapiert man, das hat sogar etwas Vernünftiges.

„Mein Glaube an den Untergang“ – Der Deutschen Lust an der Panikmache

Ein Thema darf keinesfalls fehlen, wenn sich ein Intellektueller hierzulande fragt, wofür er steht: „Mein Glaube an den Untergang oder Warum ich früher in die Kirche ging und heute auf den Wertstoffhof“ heißt das zugehörige Buchkapitel.

Ach ja, der Deutschen Lust an der Beschwörung immer neuer Untergangsszenarien. „Nachrüstung“, „atomare Bedrohung“ und „Vogelgrippe“ sind nur einige Beispiele, die di Lorenzo aus der schier endlosen Liste anführt. Gegen diese Dauerpanikmache hilft nur Ironie.


Di Lorenzo schildert deshalb eine Schmunzel- Szene, die sich 1984 auf seiner ersten Lesereise zutrug. Ein Paradebeispiel für die zermürbende Auswirkung kollektiver ökologischer Untergangsbeschwörungen auf das Alltagsleben: „erzählte eine Frau, die sich als Erzieherin vorgestellt hatte, wie sehr es ihr Lebensgefühl und das der ihr anvertrauten Kinder trübe, dass am Ende des Jahrzehnts in Deutschland kein einziger gesunder Baum mehr stehen werde, aller Wald werde dann gestorben sein, das sei gewiss.“


Diese Schilderung des seit den 80ern grassierenden apokalyptisch überhöhten Wald-Lamentos hat an Aktualität nichts eingebüßt.Weil es für viele andere Untergangsszenarien exemplarisch ist, die immer wieder an die Wand gemalt werden. Und die jenen Typus Mensch im Lande auf den Plan gerufen haben, den man heutzutage „Wutbürger“ nennt.

„Sind Bedürfnisse und Begehrlichkeiten in unserer Gesellschaft genau steuerbar?“

Aber dann wird di Lorenzo auch sehr ernst: „Sind Bedürfnisse und Begehrlichkeiten in unserer Gesellschaft genau steuerbar?“ Dafür spricht das Beispiel eines Tierfutterherstellers, der – da sich der Marktanteil kaum noch steigern ließ - durch geschickte PR-Maßnahmen in der Bevölkerung ein Bedürfnis nach der Anschaffung großer Hunde weckte.

Die fressen bekanntlich mehr. Und es funktionierte: „Das Ergebnis der Kampagne war messbar. Zwar nahm der Marktanteil des Auftraggebers, wie erwartet, nicht weiter zu, wohl aber der Umsatz. Denn die Deutschen kauften plötzlich mehr Hunde, vor allem große und sehr große Hunde.“ Stille im Publikum.

Ein Glaubensbekenntnis: Wie di Lorenzo das Sterben von Papst Johannes Paul II. erlebte

Di Lorenzo berichtet, dass ausgerechnet der Teil des Buchs, der von seinem Glauben handelt, zu seiner eigenen Überraschung die größte Aufmerksamkeit provoziert habe, obwohl dies gar nicht seine Absicht gewesen sei. Er handelt davon, wie er das Sterben von Papst Johannes Paul II. im Jahre 2005 erlebt hat:

„Wir zündeten Kerzen an und verharrten in Andacht. In diesem Moment fühlte ich mich ganz und gar eins mit meiner Kirche. Das Gefühl war: Nicht wir waren ihm, dem Papst, im Sterben nahe, sondern der Papst war sterbend bei uns.“ „Nein, es war kein Erweckungserlebnis.


Seit einigen Jahren jedoch haben wir zu Hause etwas aufleben lassen, was lange verschüttgegangen war: Vor dem Essen wird still gebetet, auch wenn Gäste da sind. Sehr oft ist das der schönste Moment des Tages.“ Das klingt echt, das berührt auf eine Weise, wie sie vor allem auch Matthias Matussek in seinem 2011 erschienenen „Katholischen Abenteuer“ wieder gesellschaftsfähig gemacht hat.

„Was sagen Sie dazu, Herr Schmidt“? Was sagen Sie dazu, Herr di Lorenzo?

Als besonderes Schmankerl serviert di Lorenzo dem Münchner Publikum zum Abschluss der inklusive Pause rund 100minütigen Lesung das von ihm verfasste Vorwort des nächsten Monat erscheinenden Bands „Was sagen Sie dazu, Herr Schmidt?“, einem Kompendium der gleichnamigen Kolumne di Lorenzos und Schmidts im ZEITmagazin.


Dann ist Zeit zum Fragen. Volle 45 Minuten lang. Die Fragen sind direkt, bisweilen provokant. Man will etwa wissen, welche Macht die Medien haben, wie di Lorenzo die EU-Politik sehe, wie es um die politische Kultur in unserem Lande stehe, wie die Familie die nicht immer schmeichelhaften Darstellungen verkraftet habe.

Di Lorenzo gibt klare Antworten, weicht nicht aus. Zeigt sich als kritischer, dabei aber sehr besonnener, differenziert denkender Kopf. Wehrt sich etwa gegen den Vorwurf, die Medien wären oft kampagnenhaft. Betont die Pressevielfalt im Lande, die sich vor allem im Vergleich zu Italien in ihrer ganzen Fülle erschließe.

Bekennt sich zu Europa, ist aber kritisch, auf welche Weise die Europolitik unter Anrufung des alten Pathos durchgezogen wird. Und fordert eine auseichende politische Kommunikation der grundsätzlichen Fragen zur Zukunft Europas.


Sagt aber auch, dass man bei aller berechtigten Kritik nicht vergessen dürfe, was wir an unserem bundesrepublikanischen politischen System haben. Auch hierbei helfe ein Blick nach Italien. Di Lorenzos Antworten kommen an, an diesem Abend in München. Viele kennen ihn ja als Fragensteller in der Talkrunde 3nach9. Die Facette des Antwortgebenden steht ihm mindestens ebenso gut.

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