Rainer Kahni schreibt aus Paris und Kommentiert die Französischen Kommunalwahlen.
Anders wie im föderalen Deutschland werden die Kommunalwahlen in Frankreich im ganzen Land an einem Tag abgehalten. In zwei Umläufen werden die Stadträte, Bürgermeister und Senatoren der zweiten Kammer des französischen Parlamentes neu gewählt. Gestern war die alles entscheidende Stichwahl, bei der die Sozialisten eine verheerende Niederlage einstecken mussten.
Insgesamt verloren sie 155 Bürgermeisterposten an die UMP oder die wiedererstarkte UDI. Elf Städte werden seit heute von Bürgermeistern regiert, die dem Front National angehören. Einzig das Rathaus von Paris konnte mittels eines Wahlbündnisses mit den Grünen von der sozialistischen Kandidatin Hidalgo erobert werden und fand so eine würdige Nachfolgerin für den überaus beliebten ehemaligen Bürgermeister Delanoë.
Die Kommunalwahlen sind stets ein Gradmesser für den amtierenden Präsidenten. Die Franzosen sind berüchtigt dafür, dass sie ihre Politiker allesamt verabscheuen, egal welcher Partei sie angehören, doch diesesmal war die Wahl eine schallende Ohrfeige (Gifle) für François Hollande, die nun sogar zu einer Regierungsumbildung führen könnte. Aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Premierministers dürfte der umtriebige Innenminister Manuel Valls sein.
Doch damit kann es der Präsident nicht belassen, will er bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht krachend verlieren! Auch das Amt des Wirtschafts - und Finanzministers steht zur Disposition, hat Pierre Moscovici doch die reichen Franzosen aus dem Land verjagt und den Mittelstand und die Arbeiter mit einer fiscalischen Achterbahnfahrt an den Rand der Verzweiflung gebracht. Steuern hoch, Steuern runter, jeden Tag wurde eine neue fiscalische Sau durchs Dorf getrieben.
Die CGT streikt seit drei Wochen und hat ihre Gewerkschaftsmitglieder mobilisiert. Es gibt keine Post, Züge Fallen aus, Firmen müssen ihren Betrieb einstellen, ein einziges Fiasko! Doch wo ist die Alternative? Und schon bietet sich der Vergleich zu Deutschland an, das auch "schlecht und alternativlos" regiert wird. Ein neuer Präsidentschaftskandidat, der dem Land sein altes Selbstvertrauen zurück gibt, ist nicht in Sicht, obwohl sich Nicolas Sarkozy schon warm läuft.
Doch der abgewählte Präsident hat noch sechs staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren am Hals und Frankreichs Untersuchungsrichter sind dafür bekannt, dass sie nicht aufgeben und jedem politischen Druck standhalten. Frankreich ist ein gutes, schönes und reiches Land, wird aber von einer kleptokratischen und unfähigen Zunft von Politikern regiert! Wo ist da der Unterschied zu Deutschland?
Das ist an sich nichts besonderers, denn jeder Präsident tauscht seine Minister desöfteren aus, um sich für den kommenden Präsidentschaftswahlkampf fit zu machen. Wenn bei uns Franzosen eine neue Regierung gebildet wird, dann ist das allerdings eine bühnenreife Inszenierung, die aus einer Melange aus Drama, Kabarett, Comédie française, Verwirr- und Intrigenspiel, bewusster Fehlinformationen und Operette besteht.
Machiavelli hätte seine helle Freude daran gehabt, wie hier die Strippen gezogen werden. Am lautesten kräht Frankreichs Rechte, die heute moranlinsauer ihre eigenen Korruptions-Skandale gerne unter den Teppich der Justizgeschichte kehren würde. Die ehemalige Untersuchungsrichterin Eva Joly, die heute Europaabgeordnete der Ecoligisten ist, kann ebenso ein Lied von den Gauche caviar (linken Kaviarfressern) singen.
Es gibt in Frankreich mehrere Bonmots, die ständig zirkulieren und die Mentalität der Franzosen genau wiederspiegelt: «Uns steht das Wasser bis am Hals, aber dessen Qualität ist heute wieder ausgezeichnet!» Warum ist wohl der Hahn das Symbol der grande Nation? Antwort unisono: « C’est le seul animal qui chante avec les pieds dans la merde! (Das ist das einzige Tier, das noch singt, obwohl es mit den Füssen im Mist steht)».
Ausserdem halten die Citoyens Frankreichs ihre gesamte politische Kaste per se für Lügner, Betrüger und Diebe. Also ist es dem Franzosen eigentlich egal, was ihre Politiker so treiben. „Ils sont tous des Voyous!“ ( Es sind alles die gleichen Gauner) Gestern ging der Vorhang auf für die Opera buffo. In Deutschland würde man das Ganze nüchtern eine Regierungsumbildung nennen.
Nicht so im Lande der Gallier, im Lande der Macchiavellisten, im Lande des Intriganten Fouché und eines Kardinals Richelieu. Nein, in Frankreich wird eine Regierung nicht einfach umgebildet, im Frankreich eines Charles Gounod und eines Maurice Ravel wird eine Regierung k o m p o n i e r t. Man nennt das in unvergleichlicher Lyrik und Romantik « La Composition du gouvernement ».
Da fahren die Karrossen der Minister, Staatssekretäre, Parteibonzen und sonstigen Strippenzieher hinter den Kulissen, mit ihren Peugeot und Renault, erkennbar nur als Regierungsfahrzeug durch eine Kokarde an der Windschutzscheibe, zum Hôtel Matignon, dem Amtssitz des Premierministers, zu dem grandiosen Palais am Quai d’Orsay, dem Amtssitz des Aussenministers, in den Innenhof des Innenministeriums am Place Beauvau, der in die Faubourg Saint Honoré führt, zurück in den Palais Luxembourg in die erlauchten Clubs des Senates und dann wieder in den Cour d’Honneur des Elyséepalastes, dem Amtssitz des französischen Staatspräsidenten.
Monsieur Le Président de la République ist den ganzen Tag nicht zu sehen. Die Herren kommen und gehen, schreiten die Treppen zur Empfangshalle hinauf, verschwinden im Cabinet des Ersatzmonarchen und verduften wieder durch den Torbogen des Elysée mit ihren bescheidenen französischen Autos.
Die lauernden Journalisten aus allen Herren Ländern, die auf das Bild des Tages warten, beschwatzen die Chauffeure der Regierungslimousinen, rauchen mit ihnen und versuchen herauszubekommen, wohin der Fahrer seinen Herr und Meister als nächstes fahren muss. Daraus lassen sich wieder neue Schlüsse ziehen.
So entstehen sogenannte Rumeurs! Verstärkt werden die Rumeurs (Gerüchte) durch die genaue Beobachtung der zahlreichen Möbelwagen, die sich verdächtigerweise heute alle in Paris eingefunden haben. Ganz Paris möbelt. In den Ministerien fahren Lastwagen vor, stämmige Möbelpacker laden achtlos die wertvollsten Staatspapiere in primitive Umzugskartons und schaukeln sie auf ihren Handkarren durch die engen Gassen von Paris.
Dabei wird natürlich geraucht, gelacht und zwischendurch fällt auch einmal ein wichtiges Dossier in den Bordstein. Man sammelt es wieder ein, stopft es in irgendeinen Karton und schiebt weiter zu seinem Camion. Von Sicherheit, Staatsgeheimnissen oder Polizeischutz weit und breit keine Spur.
Der Volksmund lästert heute in ganz Frankreich : Man wechselt keine Mannschaft, die ohnehin nichts mehr zu verlieren hat. (On ne change pas une equipe, qui n’a plus rien à perdre) Das ist dieselbe distanzierte Freude der Franzosen und der hämische Witz über ihre Politiker und die Fröhlichkeit, mit der ihr Hahn singt, während er mit den Füssen im Mist steht.
Veröffentlicht in folgenden Medien: DIE ZEIT, LE MONDE, France soir, Le Figaro, Nice Matin, France Info und Gesellschaft Freund der Künste.
Rainer Kahni, besser bekannt als Monsieur Rainer, ist Journalist und Autor von Polit - und Justizthrillern. Er ist am Bodensee aufgewachsen, lebt jedoch seit vielen Jahren in Paris und bei Nizza. Seine Muttersprache ist deutsch, seine Umgangssprache ist französisch. Er ist Mitglied von Reporters sans frontières und berichtet für Print - Radio - und TV - Medien aus Krisengebieten.
Zwischen den Reisen recherchiert er für seine Polit - und Justizthriller, die meist auf historischen Ereignissen beruhen. Der Stil seiner Reportagen und Thriller wird wegen seiner exacten Recherchen, sehr guten Ortskenntnissen und einer unverwechselbaren Sprachgewalt bei seinen Lesern geschätzt.
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