„Vom Glück ein Franzose zu sein“, titelte einst der Ex – Tagesschausprecher Ulrich Wickert in seinem Bestseller. Und ja, in meiner wahrscheinlich letzten Kolumne, will ich für mich ganz persönlich in aller Öffentlichkeit vor meiner Leserschaft noch einmal den Versuch machen, zu erklären, warum es ein besonderes Privileg und ein Glücksgefühl ist, Franzose zu sein.
Am 25. August vor 70 Jahren wurde Paris durch Général Charles de Gaulle von einer vierjährigen barbarischen deutschen Herrschaft befreit. Siebzigtausend deportierte Franzosen landeten in den Konzentrationslagern der Nazis. Nach dem Ende des Krieges setzten sich die total verarmten und hunger leidenden Franzosen mit den durch einen reichlich gefüllten Marschall – Plan angefütterten deutschen Wohlstandsbürgern zusammen und brachten die Grösse auf, mit diesen ehemaligen Erbfeinden Frieden und Freundschaft zu schliessen.
Grosse Staatsmänner wie Charles de Gaulle, Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, Giscard d’Estaing, Willy Brandt, Carlo Schmidt und in Teilen auch noch Männer wie Helmut Kohl, François Mitterand, Jacques Chirac und Gerhard Schröder sahen in der deutsch – französischen Freundschaft den Eckpfeiler eines vereinten Europas in Frieden, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das Ziel waren gemeinsame Rechts – Wirtschafts – und Sozial – Normen zu schaffen, die den Frieden unter den Völkern Europas bringen sollten.
Das ging Jahrzehnte gut, die deutsch – französische Freundschaft wuchs und gedieh bis weit nach der deutschen Wiedervereinigung. Die Franzosen waren stolz auf ihre V. Republik, ihre Verfassung, auf ihr Mehrheitswahlrecht, auf die strikte Trennung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Besonders stolz sind die Franzosen auf ihre Laizität, die die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche vorschreibt.
Die Franzosen sind stolz auf ihr savoir vivre, auf ihre Sozialversicherungssysteme, die jeden Erwerbstätigen in eine solidarische Bürgerversicherung verpflichtet. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn besteht in Frankreich schon seit Jahrzehnten. Auch die Deutschen konnten stolz sein auf ihre Leistungskraft, ihren Fleiss, ihren Mut und ihren Unternehmergeist.
Dem Franzosen entging bei all seiner Bewunderung für alles Deutsche allerdings, dass spätestens nach der Übernahme der Amtsgeschäfte durch eine ostdeutsche Wendehälsin ein gross angelegter Wettbewerbsvorteil zu Gunsten der deutschen Wirtschaft ( Böse Zungen sprechen im Strafrecht sogar von Betrug) heimlich still und leise, dann immer prolliger, herausgeholt wurde. Wie das? Im Gegensatz zu Frankreich unterlief die deutsche Wirtschaft sämtliche gesetzlichen Mindestlöhne durch Billiglöhner, Zeitarbeiter und anderswie ausgebeutete Hungerlöhner.
Gleichzeitig zwang die deutsche Kanzlerin die Konkurrenten in Europa zu einem rigiden, oft menschenverachtenden Sparkurs, der ganze Gesundheits – und Sozialsysteme in Spanien, Italien und Griechenland zum Einsturz und den Menschen nichts als Not, Leid, Elend und Tränen brachten. Die Banken liessen sich die Risiken vom Steuerzahler teuer bezahlen.
Frankreich sperrte sich Anfangs gegen diese sogenannte Austeritäts – Politik bis zwei geistig, moralisch und charakterlich völlig überforderte Präsidenten gewählt wurden. Der eine (Nicolas Sarkozy) war ein Angeber (Frimeur), der andere (François Hollande) ohnehin nur zweite Wahl ohne jedes Charisma. Beide dackelten sie der deutschen Matrone folgsam hinterher und wollten auch so ein schönes Wirtschaftswunder, das in Wirklichkeit gar keines ist.
Während Frankreich nämlich fleissig in die Infrastruktur investierte, Kindergärten, Schulen, Strassen, Krankenhäuser und Altenheime baute, verrottet die deutsche Daseinsvorsorge dem unaufhaltsamen Verschleiss entgegen. Das nennt man in Deutschland „Sparpolitik“, was nichts anderes ist als Beschiss an den Alten, Kranken, Schülern und Studenten.
In der Regierung Hollande machte sich mehr und mehr Unmut über diesen rigiden Sparzwang breit. Nicht etwa der Staatspräsident war die treibende Kraft, diesem nationalökonomischen Schwachsinn ein Ende zu bereiten, der hundelt immer noch der deutschen Kanzlerin hinterher und reisst mit dem Kurs ganz Frankreich in die Depression, nein, eine junge Garde erstklassig ausgebildeter Elite – Universitäts – Absolventen unter der Anführung des 51 jährigen Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg wagte die Majestätsbeleidigung und forderte den Staatspräsidenten offen heraus.
Als François Hollande sich dies nicht gefallen liess, schmiss ihm das gesamte Kabinett die Ämter vor die Füsse. Nun steht der Kaiser ohne Kleider da und muss sich sein drittes Kabinett zusammensuchen und auch noch durch die Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung bringen. Gelingt ihm das nicht, hat Frankreich eine veritable Verfassungskrise.
Die Franzosen haben 1789 eine Weltrevolution angezettelt, sich gegen alle möglichen Herrscher durchgesetzt, vier Republiken gegründet und wieder zum Teufel gejagt, da werden sie auch den Mut und die Courage aufbringen, eine Revolte gegen den alles zerfressenden und menschenverachtenden Raubtierkapitalismus amerikanischer Prägung zu bestehen.
Rainer Kahni, besser bekannt als Monsieur Rainer, ist Journalist und Autor von Polit - und Justizthrillern. Er ist am Bodensee aufgewachsen, lebt jedoch seit vielen Jahren in Paris und bei Nizza. Seine Muttersprache ist deutsch, seine Umgangssprache ist französisch. Er ist Mitglied von Reporters sans frontières und berichtet für Print - Radio - und TV - Medien aus Krisengebieten.
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