Michaela Boland sprach für die GFDK den Schauspieler Volker Brandt. Fotos © GFDK - Michaela Boland.
Volker Brandt hat immer gute Laune und kann viel lachen.
Volker Brandt mit Michaela Boland.
Ob er selbst mit 75 noch gerne „Achterbahn“ fährt, ist ungewiss. Im gleichnamigen Theaterstück jedoch lässt Schauspieler Volker Brandt zu, dass seine Gefühle einige Runden auf dem imposanten Fahrgeschäft drehen.
Als „Pierre“ nämlich, einem Midlifecrisis-gefährdeten, verheirateten Geschäftsmann, dessen Frau und Sohn sich gerade im Urlaub befinden, nimmt der attraktive Charmeur die soeben in einer Bar kennen gelernte junge Schönheit Juliette mit zu sich nach Hause.
Statt schnell „zur Sache“ zu kommen, verwirrt das Objekt der Begierde den älteren Herrn jedoch immer wieder aufs Neue. So ziert sie sich zunächst wie eine wohlerzogene, sittsame, junge Dame aus gutem Hause, um im nächsten Moment die eigentlich „Professionelle“ herauszukehren.
Der Verwirrung nicht genug, gesteht sie wenig später, eigentlich eine Freundin der Gemahlin zu sein, welche dem Gatten während der Abwesenheit in puncto ehelicher Treue einmal gehörig auf den Zahn fühlen solle, um dann jedoch schon kurz darauf eine Journalistin zu geben, die über das Seitensprungverhalten von Männern recherchiere, und treibt den irritierten Pierre damit immer wieder an den Rand der Verzweiflung.
Wer die geheimnisvolle junge Frau tatsächlich ist, und warum sie ihr „grausames“ Spiel mit dem ahnungslosen Pierre treibt, konnten die zahlreichen Zuschauer zwischen 26. August und siebten November jetzt im Kölner Theater am Dom herausfinden. Mit „Achterbahn“ von Eric Assous gelang Theaterchef René Heinersdorff ein richtiggehend großer Coup.
Insgesamt 25.000 Menschen sollen das Stück bis zum letzten Spieltag gesehen und es somit zu einem der erfolgreichsten Gastspiele der letzten Zeit im Theater am Dom gemacht haben. Grund zur Freude: Schon im nächsten Jahr geht die Erfolgskomödie ab 11.05. bis zum 26.06.2011 im Düsseldorfer Theater an der KÖ weiter.
Als Protagonisten des Stücks konnten Alexandra Kamp und vor allem Schauspielstar Volker Brandt ihr begeistertes Publikum überzeugen. Bereits seit den 1970er-Jahren ist der beliebte Mime, der Anfang der Achtziger den Berliner Tatort-Kommisssar Walther gab und regelmäßig in den TV- Quoten-Rennern „Schwarzwaldklinik“ und „Traumschiff“ mitspielte, vor allem durch seine Stimme bekannt.
Schon in der erfolgreichen US-Serie „Die Straßen von San Francisco“ nämlich, lieh Brandt Weltstar Michael Douglas seine Stimme und tut dies bis heute nach wie vor recht erfolgreich.
So kommt es denn auch, dass es im Café unserer Wahl, unweit der Kölner Mauritiuskirche, ganz schnell mucksmäuschenstill wird als Volker Brandt hereinkommt und mich begrüßt. Kaum kommt man umhin, zu bemerken, dass die Café-Gäste aufhorchen, weil ihnen diese Stimme fast zwangsläufig bekannt vorkommen muss.
Jugendlich frisch erscheint Brandt im feschen Herbstmantel mit lässig um den Hals geworfenen Künstlerschal. Dass er bereits 75 Lenze zählt, sieht man dem in Leipzig geborenen Sohn eines Chemikers nicht im geringsten an.
Im Gegenteil, mit seinem vollen welligen Haar und dem nach wie vor jungenhaft spitzbübischen Gesicht sieht er kaum älter als Mitte Fünfzig aus, sprudelt nahezu vor Vitalität und Gedankenreichtum, obgleich der vorangegangene Abend, an welchem wie üblich Vorstellung war, nicht gerade früh geendet hat.
Einziger Wermutstropfen an diesem Vormittag: Freundin Susanne Meikl (46) aus München hatte kurz zuvor angerufen und sich über die Art der Berichterstattung verschiedener Medien bei Lebensgefährten Brandt, der in Berlin noch eine Ehefrau hat, beklagt. Offensichtlich sei nämlich zu ihrem Ärgernis der Eindruck entstanden, dass Brandt sie aushalte.
So hatte beispielsweise auch bz-berlin.de vom 27.08 2010 in der Tat mit „Volker Brandt: Ich liebe zwei Frauen “ getitelt und den Schauspieler so zitiert: „Zwei Frauen sind ganz schön teuer. Ich zahle zweimal Miete, zweimal Unterhalt, zweimal Verpflegung.“
Volker Brandt nimmts gelassen. Der souveräne Mime steht mitten im Leben und unangenehme Berichterstattung wirft ihn wohl kaum aus der Bahn. Die Prioritäten des ausgesprochen sympathischen Schauspielers liegen woanders. Seinen Job versteht er.
Auf der Bühne lebt er seine Figur, gibt ihr nicht nur Physis, sondern haucht ihr durch die ihm eigene Mimik und Gestik derart authentisch Leben ein, dass man den Eindruck gewinnt, jenen Charakter doch von irgendwoher schon zu kennen.
Witzig, traurig, tragisch, glücklich, entsetzt und erleichtert, jenes Dauerwechselbad der Gefühle vermag Volker Brandt einfach gekonnt zu transportieren. Beeindruckend: Zwei Stunden Spiel mit nur einer Partnerin und nahezu durchgehendem Text. Das Besondere: Es gibt keine Souffleuse.
Michaela Boland:
Wie hilft man sich gegenseitig, wenn man auf der Bühne während des Spielens mal einen Texthänger hat, so ganz ohne Souffleuse?
Volker Brandt:
Ja, dass man sich hilft, wenn mal irgend etwas ist, ist ja am Theater immer so. Gerade, wenn keine Souffleuse da ist. An Privattheatern ist das ja schon mal so. Ich war 20 Jahre am Staatstheater und da hatten wir immer zwischen drei und fünf Souffleusen.
Ich habe ja bei Gründgens gespielt und der hatte eine rechts und eine links hingestellt. Und dann hat er in der Mitte gehangen und beide haben etwas gerufen, doch er hat es nicht verstanden, weil es völlig durcheinander ging. Da hat er sie beide ausgeschimpft. Normalerweise ist dieses kleine Muschelding, was da unten immer ist, auf einer richtigen Bühne natürlich immer schön. Leider gibt es das aber nicht mehr.
Das ist alles abgeschafft. Die setzten jetzt manchmal die Souffleuse in die erste Reihe und die ruft das dann hoch und blättert unten mit einem kleinen Lämpchen mit. Das ist natürlich höchst blamabel, wenn man dann hängt.
Michaela Boland:
Ist das eigentlich ein typisch weiblicher Job? Von Souffleuren hört man ja nicht all zu häufig?
Volker Brandt:
Souffleure gibt es auch, bei der Oper mehr. Aber der Beruf der Souffleuse ist eigentlich etwas hochsensibles, der meist von älteren Schauspielerdamen gemacht wird, was für uns sehr hilfreich ist.
Ganz entscheidend ist ja, dass sie die Schauspieler kennen und wissen, machen die gerade eine kleine Pause oder hängen sie? Wenn zum Beispiel unten jemand hustet, der Schauspieler deshalb eine kurze Pause macht und die Souffleuse denkt, er hängt, dann gibt sie es ihm vor und dann ärgert er sich.
Michaela Boland:
Für das zweistündige Stück „Achterbahn“, in welchem Ihnen ja nur eine Partnerin gegenüberstand, mussten Sie eine riesige Menge Text lernen. Wie kann man das am besten schaffen?
Volker Brandt:
Bei der Frage, wie man es lernt, hat jeder seine eigenen Prinzipien. Manche haben da ein Tonband und hören es sich dauernd an, was ich ganz falsch und ganz schlecht finde, weil es einen dann natürlich festlegt.
Wenn die erste Probe stattfindet, muss man ja, wenn möglich, schon ein bisschen Text können und dann aber hören, wie der andere ist, damit man auch antwortet und nicht dauernd seinen eigenen Ton drauf hat.
Ich habe mal so ein Zwei-Personen-Stück mit Anita Kupsch gespielt und die kannte alle ihre Sätze hintereinander, aber sie wusste gar nicht, wann ich etwas zu sagen hatte.
Die war auf Nummer sicher, hatte alles fleißig gelernt und fleißig ist sie ja nun mal. Und dann hat sie aber nicht gewusst, wann ich einen Satz hatte. Ich sagte dann immer: „Hallo, Anita, ich habe da auch noch einen Satz. Kannst du mal einen Augenblick auf mich warten?“
Michaela Boland:
Begeben wir uns einmal zurück in Ihre Kindheit. Sie sind in Leipzig geboren und in Hannover aufgewachsen. Verbindet Sie heute noch viel mit diesen Städten?
Volker Brandt:
Also, mit Leipzig verbindet mich außer, dass ich weiß, dass da Bombenangriffe waren, wir im Keller waren und dass wir dann nach Pommern geflohen sind, nichts. Von Pommern aus, wo ich zwölf Mal die Schule gewechselt habe, gen Westen, weil mein Vater immer nachts von der Front gekommen ist und gesagt hat, dass wir sofort weg müssten, weil die Russen kämen, zogen wir weiter.
Und dann sind wir irgendwann in Celle gelandet, wo uns die Engländer überrollt haben. Da höre ich noch heute die Panzer. Dort gab es sowohl Bombenangriffe als auch Überrollungen der Besatzung.
Das war 1945, ich war damals zehn Jahre alt. Dann sind wir über verschiedene Orte wie Sulingen, Nienburg, alles Orte, wo ich heute gastiere, nach Hannover gekommen, wo mein Vater dann eine Farbenfabrik neu aufgebaut hat. Er hatte ja schon früher in Leipzig eine Farbenfabrik von meinem Großvater.
Michaela Boland:
Wie hat sich dieses Leben in früher Kindheit auf Sie ausgewirkt?
Volker Brandt:
Die Schule in Hannover funktionierte für mich nicht. Da habe ich dann gewechselt und ging fortan auf die Waldorfschule.
Michaela Boland:
Wie lange gibt es diese Schulform bereits?
Volker Brandt:
Die gibt’s schon viel länger als mich. Es stammt ursprünglich von der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik aus Stuttgart. Und in Stuttgart war Rudolf Steiner als anthroposophischer Lehrer und Professor und der wurde von den Chefs der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik beauftragt, für die Kinder der Firma eine Schule zu eröffnen.
Und das war die Waldorf Schule. Er hat daraufhin die Anthroposophie in dieses Schulsystem eingebracht, was sich dann in die ganze Welt verbreitet hat.
Michaela Boland:
Haben Sie Ihre Kinder, Ihrem Beispiel folgend, auch in der Waldorfschule eingeschult?
Volker Brandt:
Ich habe auch ein Kind von meinen vier Kindern dort untergebracht, denn ich dachte mir, bei meiner Umzieherei ist es gut, wenn ich ein Waldorfschulkind habe, weil es dort einen einheitlichen Lehrplan gibt. Während ich es ja in meiner Kindheit zunächst so erlebt hatte, dass überall, wo ich hinkam, alle schon mehr wussten als ich und ich noch gar nichts wusste. Hinzu kam natürlich, dass ja damals noch Krieg war.
Michaela Boland:
Welche Vorteile hat Ihnen die Waldorfschule gebracht?
Volker Brandt:
Ich bin durch die Waldorfschule dahingehend infiziert, was das Musische betrifft. Ich kann beispielsweise Cello spielen, ich kann Klarinette spielen. Ich kann jetzt sogar auch Saxophon spielen, weil ich das neulich noch gelernt habe. Ich habe eigentlich auch erst in der Waldorfschule für mich entdeckt, dass ich das gerne mache und dass es mir richtig Spaß macht.
Ich wollte sogar Musiker werden, habe es dann jedoch gelassen, weil meine Hand für das Cello zu klein ist. Für die Klarinette ist es gerade richtig, aber da gibt es nicht viel Literatur. Nur ein paar Klassiker von Mozart und Weber. Es gibt auch Jazz, aber das war es.
Kurzzeitig hatte ich mir dann sogar überlegt, zu malen. Dann habe ich gemalt und gemerkt, ja gut, das ist ein einsamer Job. Schreiben konnte ich auch. Ich hatte in Deutsch immer gute Noten, aber ich konnte halt keine Grammatik, übrigens genauso wenig wie Mathematik.
Das alles war mir fremd. Doch bevor ich mich deswegen nun wieder hätte zurückstufen lassen, hat die Waldorfschule eben gesagt, „nein, der ist so und so alt, dann kommt er eben in diese und jene Klasse und muss halt ein bisschen was nebenbei lernen.
Latein zum Beispiel. Das habe ich dann eben nebenbei gemacht. Aber das Wesentliche waren für mich eben die Instrumente. Die wurden erst mal zur Verfügung gestellt, nachher habe ich dann mein eigenes Cello gehabt.
Michaela Boland:
Ist das musikalische Talent beruflich auch schon zum Einsatz gelangt?
Volker Brandt:
Zum Tragen ist dies eigentlich sehr häufig gekommen. So habe ich zum Beispiel in München, als ich da noch auf der Schauspielschule war, schon als Klarinettist und Sprecher am Staatstheater mitgewirkt. Das konnten die Klarinettisten nicht, die konnten nicht spielen und sprechen.
Ich konnte beides, deshalb hat mein Lehrer mich da schön eingesetzt. Es gab 30,- Mark pro Abend. Statisterie durften wir auch machen. Die Otto Falckenberg Schule, zu der ich dann nach München gegangen bin, nachdem ich meinen Abschluss auf der Waldorfschule in Hannover gemacht hatte, war ja die einzige Schule im deutschsprachigen Gebiet, die einen Kontakt zum Theater hatte.
Ansonsten sind die nämlich in Deutschland alle extra. Da sind zwar überall Lehrer und Professoren, selbst die Buschschule, diese berühmte Berliner Akademie da im Osten, die sind alle separat. Aber ich wollte zunächst ja nur mal wissen, ob das Ganze überhaupt etwas für mich ist.
Michaela Boland:
Wie verlief der Weg von Hannover nach München?
Volker Brandt:
Ich habe mit einigen Leuten in Hannover ein paar Vorsprechrollen erarbeitet, sie aber für mich alleine gelernt, also, ich hatte keinen Unterricht oder dergleichen, und bin zu dieser Aufnahmeprüfung nach München gefahren. Es war schönes Wetter, Föhn.
Ich hatte gute Stimmung und bin die ganze Nacht über gefahren. Dann habe ich das da gemacht und bin wieder nach Hause gekommen. Und dann kam eine Bewilligung an und ich habe mir gesagt, also, bevor ich jetzt lange fackle, mache ich das. Dann habe ich das zwei Jahre lang gemacht. Es war toll, dann zeitgleich schon richtig beim Theater reinriechen zu können.
Michaela Boland:
Sie haben ja auch mal eine Gärtnerlehre gemacht. Wann war das denn?
Volker Brandt:
Das mit der Gärtnerlehre ist in der Kriegszeit gewesen. Ich bin ja Geburtsjahr 1935.
Von München aus bin ich jedenfalls dann nach Hamburg zum Schauspielhaus, denn bei Gustav Gründgens war eine Stelle frei. Da konnte ich den jugendlichen Liebhaber spielen. Der Uwe Friedrichsen war einer, der Charlie Brauer war einer und ich war einer. Die drei Liebhaber.
Der eine hatte schon eine Glatze, Charlie Brauer. Der andere war blond und frech, das ist der Uwe Friedrichsen gewesen. Und ich war lockig und schlank und ein typischer jugendlicher Liebhaber.
Das habe ich dann sechs Jahre gemacht. Außerdem auch schöne große Rollen und dann bin ich nach Frankfurt gegangen, weil da eine kleine Bühne war. Von Frankfurt aus ging ich nach Wien, was sehr richtig und wichtig war.
Michaela Boland:
Aus welchem Grund?
Volker Brandt:
Ich war immer der Meinung, ich muss etwas lernen. Die österreichischen Schauspieler und die Theater in der Josefstadt waren sehr lehrreich. Ich war nicht ängstlich in puncto Geldverdienen. Ich wollte einfach wieder umziehen mit Kind und Kegel.
Da hatte ich übrigens schon zwei Kinder und bin dann anschließend nach Berlin gezogen und ans Schillertheater gegangen. Mit Martin Held zu spielen, ist natürlich schon was. Nach fünf Jahren habe ich das Theater dann auch verlassen. Das ist auch eine lange Zeit für so ein Staatstheater.
Dann reicht es einem aber auch, berühmte Leute hin oder her. Ich habe dann einfach Tschüss gesagt und bin nach Karlsruhe gegangen, ans badische Staatstheater. Ein Drei-Sparten-Theater mit Oper und mit Ballett. Das hat mich sehr interessiert.
Ich wollte endlich mal abends in der Kantine mit den Ballettmädchen flirten.(Lacht). (Anm. d. Red.: Die zweite Ehefrau ist übrigens Tänzerin). Dann bin ich ab 1977 freischaffend geworden. Ab 1977 habe ich dann Fernsehen, gemacht, Synchron, was ich vorher noch nie gemacht hatte.
Doch, in Berlin habe ich mit Synchron angefangen, da hatte der Michael Douglas damals schon „Die Straßen von San Francisco“. Da haben sie einen neuen Sprecher gesucht und haben gesagt, „och, der ist da am Staatstheater“. Doch ich wusste gar nicht, wie das geht und es war ganz neu und dann habe ich das doch Jahrzehnte gemacht.
Michaela Boland:
Stichwort Synchron. Wie bekommt man es eigentlich hin, immer lippensynchron zu landen, wenn man jemandem in einer anderen Sprache seine Stimme leiht?
Volker Brandt:
Es werden einzelne Takes herausgesucht, die einem vorgespielt werden. Die sind ein Satz oder zwei Sätze lang. Manchmal sind es fünf Sätze, das ist schon sehr schwer. Fünf Zeilen sind sehr schwer. Ein Stöhner geht schnell. Man muss nur aufpassen, die Stimmung des Darstellenden und einigermaßen das Timing zu erwischen. Da ist ja vorher eine Pause und plötzlich stöhnt er oder plötzlich schreit er los oder sonst irgendwas.
Michaela Boland:
Gab es in Sachen Synchronarbeit eine besondere Herausforderung für Sie?
Volker Brandt:
Besonders schwer war der Film „Falling down“. Ich kenne ja Michael Douglas selber und das ist auch sein Lieblingsfilm. Für mich war das Sauarbeit, weil der hat da ohne schauspielerische Vorbereitung gespielt. So verrückt, dass man immer sehr schreien musste, wild in der Gegend herum. Mit Theaterstimme ist da nichts zu machen.
Ich war dann auch immer heiser und er auch. Und wir waren uns eigentlich einig, das ist ein toller Film, aber eben einer aus dem Bauch und für einen Synchronsprecher fürchterlich. Dann gibt’s aber Filme von ihm, die sind ganz anders. Also, „Die Straßen von San Francisco“ waren eigentlich nicht schwer, weil er den Assistenten von Karl Malden spielt.
Da hatte ich auch immer einen sehr guten Sprecher neben mir. Den Friedel Bauschulte. Der ist auch schon gestorben und der hat mir auch manches beigebracht. Aber es ist eben ein Job, den man wirklich üben muss, üben, üben, üben.
Michaela Boland:
Gibt es heutzutage denn noch ausreichend Möglichkeiten, den Job zu üben?
Volker Brandt:
Heute bekommen junge Leute nicht die Gelegenheit dazu, weil die Produktionszahlen so hoch sind. Es waren früher mal achtzig Takes auf dem Programm oder schon mal hundert für den ganzen Tag. Von neun oder zehn Uhr morgens an bis um fünf hundert Takes.
Jetzt sind dreihundertfünfzig drauf. Und heute sind Sie auch ganz alleine. Sie haben nicht mal einen Partner. Wenn ich ins Studio komme, wie jetzt neulich bei „Wall Street“, da waren dreihundert Takes auf der Liste, immer nur ich.
Gut, ich habe aber Szenen gehabt mit einer jungen Dame, mit älteren Herren, mit meiner Frau, was weiß ich. Und ich musste aber alles alleine machen und hatte keinen Partner. Früher war das so, dass man die Frau auch hatte, man konnte mit ihr reden, man konnte sie anfassen, man konnte sie sogar kennen lernen.
Wir hatten immer viel Zeit zwischen den Takes. Heute ist sofort der nächste Take da, sofort geht es weiter. Das ist sehr effektiv, aber eben sehr anstrengend. Das macht keinen Spaß mehr in dem Sinne, dass man sich eben auch eine Mittagspause gönnt oder, dass Leute sich, wie früher beim Synchron, gegenseitig lieben- und kennen gelernt haben.
Das ging alles wunderbar. Oben war der Mitarbeiter, der ein Filmröllchen reingelegt hat, wie im Kino, dann gespielt, dann Röllchen wieder heraus und das dauerte eben.
Michaela Boland:
Macht Ihnen das Synchronsprechen mehr Spaß als die Schauspielerei?
Volker Brandt:
Nein, nein, nein. Synchron ist wirklich eine Fron. Ich hasse das und würde auch nie „Hosianna“ sagen, wenn, sagen wir mal, wieder so eine große Serie kommt, sondern dann sage ich, „ach Du meine Güte, das wird hart“. Und es ist hart. Sie sind nur im Dunkeln. Da haben sich früher die Leute umgebracht, erschossen, weil sie gar kein Licht mehr hatten. Oder sie sind Säufer geworden. Alles schwere Alkoholiker in dem Job.
Heute ist alles nicht mehr so. Früher haben wir ja auch beim Theater gesoffen. Da waren abends immer Flaschen mit Wein leer. Als ich in Wien war, da kam man nachmittags zur Vorstellung, samstags und sonntags, und eine Flasche Rosnerwein, zwei Liter, die war nach der ersten Vorstellung leer.
Dann haben wir noch eine zweite geleert und dazwischen sind wir in der Pause noch zum Heurigen gegangen. Wie wir das gemacht haben, weiß ich nicht mehr. Und da waren alle ernsthaften Leute dabei. Es war jetzt nicht so, dass da bloß die Säufer dabei gewesen wären.
Heute geht das so: Wir spielen von fünf bis sieben dieses Stück, dann haue ich mich aber so schnell wie es geht, aufs Sofa. Wenn ich Glück habe, bin ich auch weggetaucht. Dreiviertelsieben (Anm. d. Red.: Viertel vor acht) ziehe ich mir das Hemd um und dann ist bis zehn Uhr Vorstellung und dann gehen wir nach Hause.
Dann haben wir vier Stunden gespielt mit diesem Stück, das ist dann schon ein ganz schönes Ding. Wie ich dann dazwischen noch Wein trinken sollte oder schon während der Vorstellung, das ist mir schleierhaft.
Michaela Boland:
Selbst wenn Sie in Hörspielrollen weniger nette Zeitgenossen darstellen, hat Ihre Stimme dennoch immer noch etwas Sympathisches. Woran liegt das?
Volker Brandt:
Das ist auch ein bisschen mein Job. Ich habe ja auch in der Schwarzwaldklinik einen Liebhaber gespielt, der fünf Frauen nebenher hatte (Anm. d. Red.: Spielte Dr. Werner Schübel). Das war immer so der Sympath, der aber gleichzeitig noch ein ziemlicher Schlawiner war. Damit das Gegengewicht stimmte, hat man mir immer gesagt, „ Dafür bist Du aber ein sehr guter Operateur“.
Michaela Boland:
Ist Volker Brandt auch ein Schlawiner?
Volker Brandt:
Nein, überhaupt nicht. Ach, ich bin viel zu schüchtern.
Michaela Boland:
(Lacht)
Volker Brandt:
Ich hätte nie jemals die Idee gehabt, mir jetzt mit Alexandra zum Beispiel (Anm. d. Red.: Schauspielpartnerin Alexandra Kamp) irgendetwas vorzustellen. Ich stelle es mir einfach gar nicht erst vor. Es gibt manchmal Partnerinnen, wie meine jetzige Lebensgefährtin, die ist aber jetzt schon zehn Jahre, nein zwölf Jahre, mit mir zusammen. Wir haben uns auf der Bühne verliebt, das gibt es schon.
Michaela Boland:
Bei welchem Stück hat es gefunkt?
Volker Brandt:
Das war das Stück „Mein Vater der Junggeselle“ in München. Und die Frau davor, mit der ich jetzt schon dreißig Jahre zusammen bin, soviel zu meinem sogenannten Doppelleben,
(Anm. d. Red.: Bezieht sich auf die eingangs erwähnte Medienberichterstattung, nach welcher er ein „offenes Doppelleben“ führe/ unterhaltung-t-online.de/volker-brandt-fuehrt-offenes-doppelleben vom 02.08.2010 und mit Ehefrau Donna (59) in Berlin lebe, während er mit Freundin Susanne außerdem noch eine Wohnung in München habe),
eine Tänzerin, die habe ich kennen gelernt bei „Anatevka . Da habe ich nämlich als Freischaffender am Theater des Westens gesungen, getanzt, alles. Da habe ich sie kennen gelernt. Und die Frau davor, von der ich einen Sohn, der jetzt auch schon 50 wird und eine Tochter, die über 40 ist, habe, die habe ich auch auf der Bühne kennen gelernt.
Michaela Boland:
Klingt so, als geschehe es fast schon zwangsläufig, dass man seine Partner in der Branche ausschließlich auf der Bühne trifft.
Volker Brandt:
Ja, aber man hat ja x Partnerinnen und es passiert überhaupt nichts. Aber manchmal kann es sein, dass einen die Liebe überkommt. Wie auch immer, wenn die Gelegenheit gut ist. Also, das sind auch keine kurzen Sachen, die sind auch richtig gut dann.
Michaela Boland:
Haben Sie bei den gespielten Liebesszenen immer etwas empfunden oder nicht?
Volker Brandt:
Kann ich Ihnen etwas zu sagen, weil Michael Douglas, der ja ein großer Liebesszenenspieler war, hat gesagt, da sind erst mal 30 Leute im Raum, zweitens wird das technisch vorher ausgeixt, Motto: Kuss, Kuss, Kuss, Klatsch Peng, richtiger Kuss, wie lange, wieder zurück, wieder hin, wieder her, Klappe, fertig. Das muss so verabredet werden und muss dann echt gefüllt werden, klar.
Michaela Boland:
Sie selbst haben doch auch schon etliche Liebesszenen gedreht.
Volker Brandt:
Aber ja. Das haben wir dann auch ausgeixt. Das muss ja aussehen und da müssen wir auch ernst bleiben. Vor allen Dingen die Frauen haben es da ja mit den Männern schwer. Meine Freundin hatte immer Partner, die ihr nicht gefielen. Günther Schramm zum Beispiel oder Ilja Richter. Das waren alles so Partner, die wollte sie eigentlich nicht küssen. Und da hat sie sich immer ein bisschen überwinden müssen.
Michaela Boland:
Wie sehr sind Sie persönlich von dem Schicksal des Michael Douglas betroffen?
Volker Brandt:
Da haben sie mich alle angerufen und haben gesagt, Volker, was machst denn du jetzt? Da gibt es ja zwei Filme oder einen Film im Jahr, oder alle zwei Jahre einen Film. Neulich habe ich einen Film gemacht, der ist gerade mal eine Woche gelaufen, der hieß „The king of California“. Da war er fast nur dran, da habe ich 600 Takes gehabt.
Da war ich fast über eine Woche, jeden Tag. Wir haben immer bis mittags gemacht und dann haben wir Schluss gemacht. Man kann nicht den ganzen Tag Synchron machen und ich war natürlich auch wieder alleine. Den Film „Wall Street“ haben wir in Berlin gemacht. Da habe ich drei Tage gebraucht, mehr nicht.
Michaela Boland:
Nun, in jedem Fall wollen wir hoffen und Michael Douglas von ganzem Herzen wünschen, dass er bald wieder genesen wird. Wie haben Sie einander das erste Mal kennen gelernt?
Volker Brandt:
Wir haben uns mehrmals getroffen. Gerade hier in Köln. Da hat uns einmal RTL engagiert, da sollte er ein Stückchen von einem Film von mir synchronisieren, auf Englisch. Ich habe das Deutsch gesprochen, man hatte ihm den englischen Text gegeben und er musste das dann machen und hat es auch gemacht.
Hollywood ist für uns immer so das, wo du aufstehst, wenn jemand reinkommt. Aber Hollywood ist auch so, dass der reinkommt und er setzt sich dann neben mich und sagt, „Hallo Volker“. Das ist auch wieder ganz nüchtern und ganz natürlich.
Michaela Boland:
Muss man sich die Schauspielerarbeit grundsätzlich so vorstellen? Nüchtern und natürlich?
Volker Brandt:
Ja, denn so ist es beim Arbeiten auch. Ich habe zwar noch nicht mit Hollywood gearbeitet, aber ich habe mal in Frankreich, in Paris einen Film gedreht mit lauter guten Leuten. Ich habe da nachts in Paris einen deutschen Immigranten gespielt, der aber Französisch sprechen musste.
Da waren die ganz großen Leute und ich musste nur aufpassen, dass ich meinen Text schnell genug sagte, denn die Franzosen sprechen sehr schnell. Das war für mich als Fremdsprachler insofern schon ein bisschen schwierig.
Allerdings ist es ein großes Geschenk, in Frankreich zu drehen. Die Franzosen sind ein Kinovolk, wie es im Buche steht. Wie da vorbereitet wird, alles ineinander greift und die mit Schauspielern umgehen, das ist einfach wunderbar. Anders als hier.
Michaela Boland:
Inwieweit?
Volker Brandt:
Wie ich es hier wieder gesehen habe, auf unserem Platz war gestern wieder ein Dreh. Ja, da frösteln alle herum, „ich will nicht früh um vier oder um fünf in einem Schminkwagen in einer Garage sitzen“, wie übrigens Frau Elsner zum Beispiel, wo ich das zuletzt gesehen habe.
Da habe ich in einem Film mit ihr mitgespielt, einem Krimi, da war sie Kommissarin. Und ich dachte mir, die arme Frau, jetzt komme ich hier um halb sechs hin, denn um neun war Drehbeginn. Da sitzt sie da schon eine Stunde, man sieht es ihr an, dass sie nicht ausgeschlafen ist.
Das sieht doch nicht aus, die Frau, also das kann man nicht machen. Aber das ist Alltag. Aber nicht in Frankreich, da wollen sie, dass die Frauen ausgeschlafen aussehen. Die schicken sie aber abends auch ins Bett. Es ist nicht so, dass die dann abends noch Highlife machen. Ebenso in Hollywood.
Wenn eine Marilyn Monroe nicht pünktlich da war, dann wurde sie rausgeschmissen. Ist ja passiert. Hohe Disziplin. Wo es ums Geld geht, wo Produzenten sind und wo genau geguckt wird, ob das auch gut gespielt ist, da herrscht eiserne Disziplin.
Michaela Boland:
Ist es das, was den Beruf hautsächlich ausmacht?
Von dem Schauspielberuf denken viele Leute immer, dass er so lax ist. Die Schauspieler stellen sich auch immer so blöd dar. Vor allen Dingen die, die nichts sind und die auch so ein bisschen Filmleute sind, die machen immer so das Partyleben.
Ich kenne kaum Leute und ich gehe auch abends lieber nach Hause, weil ich dann auch Fernsehen gucke oder mir noch etwas zu essen mache und dann gehe ich vor halb zwei sowieso nicht ins Bett. Da ist halt noch der Abend ein bisschen drin. Man geht ja nicht aus dem Theater und ist dann nicht mehr.
Michaela Boland:
Hat man eigentlich mit 75 Jahren noch so viel Spaß an der Arbeit, dass man gerne noch weiter auf der Bühne steht oder muss man noch weiter auf der Bühne stehen?
Volker Brandt:
Sagen wir mal so, ich will natürlich nicht, bevor ich es nicht muss, meinen Job aufgeben. Was heißt Job, das ist ja so ein neues Wort. Ich meine, Beruf aufgeben, denn das ist ja mein Beruf. Ob ich jetzt Gärtner wäre oder Musiker, das würde ich weiter machen.
Solange ich das Cello greifen kann, die Klarinette blasen kann, solange würde ich das weiter machen. Das hat gar nichts mit dem Alter bei mir zu tun. Und das ist mit dem Theaterspielen auch so. Wenn ein Schauspieler älter wird, wird er erstens mal besser und zweitens wird er ernsthafter und er legt auch mehr Wert darauf, dass sein Beruf noch funktioniert.
Viele Kollegen, die ich jetzt so in meinem Alter treffe, zum Teil auch ein wenig jünger, die sagen, „Du ich kann es nicht mehr, mit meinem Gedächtnis geht es nicht mehr. Ich habe da mal gehangen, da habe ich nichts mehr gesehen und gehört. Dem setze ich mich nicht mehr aus“.
Also haben sie ihren Beruf aufgegeben. Und ich denke, die spinnen. Wenn Du hängst, musst Du wissen, worum es jetzt geht, den Sinn kennen und dann musst Du etwas frei sagen und dann kommst Du wieder drauf. Wenn ich hänge, dann weiß ich aber genau, um was es geht. Aber das ist selten und ich kann das noch verantworten.
Michaela Boland:
Hin und wieder beobachtet man bei Schauspielern, dass diese, dann, wenn sie plötzlich ohne vorgegebene Rolle frei sprechen müssen, ein wenig unsicher werden. Bei Ihnen kann man sich kaum vorstellen, dass Sie um ein Wort verlegen sein könnten.
Volker Brandt:
Ich habe sehr viel gelernt bei Talkshows. In dem Augenblick, wo ich freischaffend und dann Tatort-Kommissar in Berlin war, war ich ja plötzlich mit zwanzig Millionen Zuschauern pro Folge, als es noch keine Privaten gab, hatte man ja noch solche Einschaltquoten, vom einen zum anderen Abend bekannt.
Ich habe das sieben Jahre lang gemacht. Mit Wolfgang Staute, oder ich habe auch mal einen Tatort mit Armin Mueller-Stahl gemacht. Das waren immer sehr gute Leute.
Es ist aber so, dass wenn Sie dann bekannt sind, Sie zu Talkshows gehen müssen. Da können Sie nicht einfach nur so da sitzen, wie die Schauspieler, und dann nicht wissen, was Sie sagen sollen. Sie müssen dann schon ein bisserl reden.
Oder auch bei einer öffentlichen Veranstaltung wie bei Carmen Nebel, wo ich neulich mal war. Zur Weihnachtszeit habe ich da einen Weihnachtsmann gespielt. Oder jetzt gehe ich hier zu Bernd Stelter (NRW Duell). Auch war ich allein fünf Mal bei Herrn Alsmann, übrigens auch mit dem Instrument.
(Anm. d. Red.: In der WDR Produktion „Einfach Alsmann“ mit Götz Alsmann konnten Prominente ihre Fertigkeiten in Sachen Musizieren mit ihren Instrumenten unter Beweis stellen).
Nachdem ich fast dreißig Jahre keine Klarinette gespielt hatte, das Ding lag irgendwo zu Hause, habe ich mir eine geliehen, habe Unterricht genommen und habe Summertime gespielt.
Mit ihm und seiner Band. Außerdem waren noch Hugo Egon Balder und Kim Fischer dabei. Und weil mein Lehrer auch Unterricht in Saxophon gegeben hat, habe ich mir gedacht, „hey“, habe mir sodann erst ein Saxophon geliehen, anschließend gekauft, um dann anzufangen, Saxophon zu spielen.
Michaela Boland:
Was für ein Saxophon spielen Sie jetzt?
Volker Brandt:
Ein Alt-Saxophon. Ich mag es sehr gerne, aber das ganze letzte Jahr war ich nur unterwegs und ich kann das Saxophon leider nicht mitnehmen.
Michaela Boland:
Was tun Sie, wenn Sie zu Hause sind? Ist zu Hause eigentlich bei Ihrer Familie in Berlin oder bei der Freundin in München?
Volker Brandt:
Ja, jetzt kommen Sie damit an. Mein Doppelleben ist tatsächlich ein Doppelleben. Ich bin aber auch noch hier, weil mein Sohn hier ist.
(Anm. d. Red. Der erstgeborene Sohn von Volker Brandt, Borris Brandt, war bis 2008 Geschäftsführer von Endemol Deutschland und führt seit 2009 die ENTERTAINIA Unterhaltungsgesellschaft mbH in Köln)
Der hat schon angefragt, „was machst Du Weihnachten?“ Er ist freier Produzent und zieht auch nach Hamburg. Im letzten Jahr zur Weihnachtszeit als ich genau dieses Stück (Anm. d. Red.: „Achterbahn“) mit einer anderen Partnerin gespielt habe (Anm. d. Red.: In Bonn spielte Brandt mit Kollegin Kim Langner), wollte ich nach Berlin, weil die Kinder, große Kinder, 28 und 20, wollten mit mir, wie immer in Berlin feiern. Papa nimmt den Baum, Papa schmückt, Geschenke werden besorgt, miteinander, wir gehen auf den Weihnachtsmarkt, wir machen dies, wir machen das.
Aber das konnte ich nicht machen, weil die Schneelage so unsicher war. Dann musste ich kurzfristig absagen, obwohl ich das Ticket bereits hatte und bin dann hier zum Sohn gegangen. Das war auch sehr schön. Der hat mich abgeholt, ich hatte aber zwei Tage hinterher Vorstellung. Also am ersten und am zweiten Weihnachtsfeiertag.
Es war nur der 24. und das hätte ich dann als zu hektisch empfunden, um nach Berlin zu fahren. Ich habe sogar noch am 22.gespielt, hatte also tatsächlich nur den 24. früh und am 25. mittags ging es zurück. Jetzt fragt mein Sohn, ob ich wieder komme, aber diesmal bin ich wieder in Berlin, denn die Wohnung bezahle ich noch, die Wohnung ist unsere Wohnung. Das ist sozusagen der Familientreff.
Michaela Boland:
Kommen denn da alle zusammen?
Volker Brandt:
Nein, da kommen nicht alle zusammen. Also meine erste Frau, die verträgt sich mit meiner zweiten Frau gut. Es kann sein, dass die da mal vorbei kommt. Es kann sein, dass ich zu der Tochter gehe, die neulich hier war, weil das aus dieser Ehe zwei Kinder sind. Dieses Jahr habe ich Zeit und kann schon am 18. nach Berlin fliegen. Meine andere Tochter kommt aus New York, sie studiert nämlich Schauspielerei in New York.
Michaela Boland:
Es bleibt also in der Familie.
Volker Brandt:
Ja, allerdings weiß ich nicht, ob ich darüber glücklich oder irgend etwas sein soll.
Michaela Boland:
Warum?
Volker Brandt:
Ja, man weiß es nicht, ob so ein armes Töchterlein, was dann Schauspielerin ist, na ja. Sie hat eine gute Schule und die ersten zwei Semester schon hinter sich, sie haben sie behalten und nicht rausgeschmissen.
Michaela Boland:
Auf welcher Schule ist sie?
Volker Brandt:
Ich weiß jetzt nicht, wie sie heißt, aber es ist eine richtig gute Schule. Nun gibt es bei denen ja keine staatliche Schulen mit staatlichem Geld oder angeschlossen, wie die Falckenberg Schule und die Münchner Kammerspiele. Mein Vater hat ja damals nur hundert Mark bezahlt. Ich bekam hundert Mark zum Leben inklusive Miete und hundert Mark für die Schule, zwei Jahre lang.
Michaela Boland:
Das heißt, dass Ihr Vater, der Chemiker, das Unterfangen Schauspielerei in jedem Fall bei Ihnen unterstützt hat.
Volker Brandt:
Der hat gesagt, Du kannst das machen, aber komm nicht , wenn Du es fertig hast, und sag, Du würdest kein Geld haben. Meine Mutter mochte das sehr, weil sie eine Theaterfrau gewesen ist. Die liebte Oper, die liebte Schauspiel. Die hat mich auch mal ab und zu in die Oper mitgenommen, das mochte ich gar nicht. Aber das Theater. Vielleicht habe ich da irgendwie ein bisschen was mitgekriegt.
So und dieses ganze Gemisch von Wohnungen und hin und her und dann kommt Weihnachten, und dann wird hier gespielt und da gespielt.
Ja, Bonn, ich liebe Bonn, ich liebe Köln, ich liebe Stuttgart, ich bin in Berlin zu Hause, ich bin in München zu Hause. Das kenne ich nun schon über 50 Jahre. In Frankfurt habe ich gelebt, war drei Jahre im Theater dort.
Auch ist da eines meiner Kinder zur Welt gekommen. Das ist einfach dann mein Zuhause, bis heute. Ich kenne mich da aus, weil ich auch Fußgänger bin. Sie können mich blind im Flughafen in Frankfurt aussetzten oder im Hauptbahnhof und ich gehe blind die Stationen ab und weiß genau, wo ich bin.
Michaela Boland:
Kommen wir noch mal zurück auf das Weihnachtsfest.
Volker Brandt:
Da muss ich noch etwas dazu sagen. Meine Schauspiellehrer in München haben gesagt, wenn Du Schauspieler wirst, musst Du bereit sein, aus dem Koffer zu leben. Da habe ich gedacht, wer lebt hier aus dem Koffer? Die haben alle feste Engagements.
Aber als ich freischaffend wurde, bin ich sehr viel umgezogen. Meine Kinder sind dann immer gekommen zum Dreh, weil ich immer unterwegs war, um zu drehen. Schwarzwaldklinik, stundenlang im Schwarzwald, oder ich habe eine Serie gedreht, „Glückliche Reise“, das waren 32 Länder. Da war ich in Island, Afrika, Neuseeland, Grönland, Venedig. Da haben wir gedreht, gedreht, gedreht.
Und das war eigentlich eine Zeit, wo dann die Kinder eben zu mir gekommen sind. Teilweise haben sie sogar mitgedreht, die habe ich dann immer gleich mit eingebaut. Und jetzt ist es so, dass ich die Frau habe, die Susanne, und die ist jetzt mit mir zusammen auf Tournee.
Hier war sie jetzt zwei Mal, weil sie nicht mitspielt. Aber, wenn Tournee ist, fährt sie ja mit, spielt auch mit. Wir haben das unendliche Glück, dass wir eben schon seit zwölf Jahren immer zusammen spielen. Also, wenn ein älterer Herr und eine junge Frau drin ist, dann gibt es auch meistens was in den Stücken. Ob das jetzt die Boulevardstücke sind oder die ernsthaften Stücke sind.
Michaela Boland:
Werden Sie auch immer schon direkt als Paar gebucht?
Volker Brandt:
Die ist immer schon dabei, ja.
Michaela Boland:
Susanne Meikl spricht ja auch in Hörspielen, wie beispielsweise „Die größten Fälle von Scottland Yard – Bittere Kristalle“ mit, in denen Sie, Herr Brandt, häufig Rollen übernehmen. Bringen Sie Ihre Lebensgefährtin bei solchen Gelegenheiten auch unter?
Volker Brandt:
Da spielt die Susanne auch manchmal mit. Die tue ich dann ins Hörbuch rein, dann macht sie auch ein bisschen was. Oder ich mache Pater Brown und da ist immer irgendwas zu sprechen drin.
Aber, sie ist sehr attraktiv und wir haben sie, immer wenn es irgendwie geht, zum Beispiel habe ich ja auch „Der zerbrochene Krug“ gespielt, von Heinrich von Kleist, und da spielt sie dann eine Magd oder Frau Brigitte, am Schluss kommt doch die Frau Brigitte, die alles ahnt und weiß.
Michaela Boland:
Zusammen leben und überwiegend zusammen arbeiten ist ja schon ein Privileg.
Volker Brandt:
Mehr als bei allen anderen Schauspielern. Auch die Andrea Sawatzki mit dem Christian Berkel, die haben nicht so viel zu tun. Und die treten auch in Talkshows nicht zusammen auf. Ich versuche, sie auch immer mit in die Talkshows zu bringen.
Michaela Boland:
Im Theaterstück „Achterbahn“ versuchen Sie als „Pierre“ bei einer wesentlich jüngeren Frau zum Zuge zu kommen. Im Privatleben haben Sie auch eine wesentlich jüngere Frau an Ihrer Seite. Sie sind 75, Frau Meikl ist 46 Jahre alt. Läuft da immer alles reibungslos ab?
Volker Brandt:
Also, wesentlich jünger, das ist nur, was den Pass betrifft. Bei uns teilt sich das Kindische genauso auf, wie der Erwachsenenteil. Manchmal ist sie erwachsener als ich, manchmal bin ich erwachsener als sie.
Zum Beispiel heute, wo ich sie dann trösten musste und sagte, denke mal an Fälle wie bei dem Sittler, (Anm. d. Red.: Schauspieler Walter Sittler, der im Zuge seines Einsatzes im Streit um „Stuttgart 21“ durch CDU-Generalsekretär Thomas Strobl beleidigt wurde, nachdem Strobl in diesem Zusammenhang eine Anspielung auf die NS-Vergangenheit von Sittlers Vater machte) wo dann plötzlich die Nazi-Vergangenheit des Vaters thematisiert wird.
Das ist doch nicht schön, das ist doch grausig und da sind wir doch ein Popel dagegen mit unserer blöden Geschichte. Aber wenn wir auf Tournee sind, dann müssen wir natürlich gut zusammenhalten, denn wir haben das gleiche Zimmer, die gleiche Garderobe und stehen zusammen auf der Bühne.
Da sagen viele, wie macht ihr das? Man muss doch mal weg sein von seiner Frau. Nein, muss man nicht, das machen wir ganz gut. Das gelingt auch nicht mit jedem.
Michaela Boland:
Wie ist die Arbeitsaufteilung?
Bei Computern und Waschmaschinen ist sie die Chefin. Kochen, das mache ich, weil ich es besser kann und ich gehe auch einkaufen.
Michaela Boland:
Wem gehören denn all die Teddybären und sonstigen Stofftiere, die man bei einer Homestory zuhauf in Ihrer Münchener Wohnung zu sehen bekommt?
Volker Brandt:
Teddy kann sie. Sie näht das sehr gut. Sie hat ein wunderbares Gefühl für Ausdruck und wie die Teddys aussehen. Sie hat ja auch schon sehr viele gemacht. Aber als Beruf wäre das Quatsch.
Sie ist halt manchmal ein bisschen unglücklich, dass sie, nicht so wie Alexandra, dann eben einfach sehr viel zu tun hat .Also, die hat ja im Augenblick eine gute Strähne. Sie würde zum Beispiel dann nicht diesen ganzen Öffentlichkeitskram machen. Das hasst sie wieder.
Michaela Boland:
Dafür bekommt man aber bei Homestories wie der, die Sie zusammen mit www.perfect4all.de gemacht haben, doch schon den einen oder anderen Einblick in Ihren gemeinschaftlichen Privatbereich.
Volker Brandt:
Also Homestories, das machen wir manchmal, weil mein Produzent Rademann gesagt hat, „pass mal auf, wenn wir hier Schwarzwaldklinik drehen, kommen die Reporter auf Dich zu, um mal ein paar Bilder von Dir zu Hause zu haben.
Du kannst det auch machen, det is doch gar nich schlimm, denn da is dann die Quote auch richtich jut. Und det musste schon machen, sonst kann ick Dir nich engagieren“. Und da habe ich gesagt, wenn die das anständig machen, und ich das vorher lesen kann so ein paar Fotos in der Stube, dann ist das o.k.
Michaela Boland:
Wie haben Sie hier in den letzten Wochen Ihre Freizeit verbracht?
Volker Brandt:
Ich habe ja hier in Köln auch eine Wohnung. Ich statte ja meine Wohnungen immer mit allem Möglichen aus. Ich kaufe Pflanzen, die ich dann aber auch mit nach Hause nehme. Ich habe hier gewaltig Schmetterlinge gekauft. Außerdem Käfer und Grillen.
Michaela Boland:
Was für Käfer?
Volker Brandt:
Tolle Käfer aus Guatemala und aus Thailand. Da sind welche dabei, die haben riesige Hörner, so Fühler, die bis nach unten reichen Da gibt es eine Farm in Frankreich, wo sie gezüchtet werden. In einem Kölner Gartengeschäft, da hatten die jetzt diese wunderbaren Schmetterlinge ausgestellt. Die sind in so Glaskästchen drin, stinkteuer, aber so schön.
Und davon habe ich 15. Also mindestens fünf Käfer, verschiedenster Art. Gestern habe ich grade noch einen gekauft. Also, die haben Farben, unglaublich. Einer heißt „Longi Mani“, der hat riesige Hände.
Ein anderer ist wie so ein Mistkäfer, der schillert grünlich, das ganze Ding schillert, also so was Schönes. Manche haben türkise Streifen. Und vom Bauch her sehen sie wieder ganz anders aus. Die habe ich alle in Köln, schicke aber jetzt alles nach München, genau wie meinen kompletten Küchenhaushalt. Ich habe schon gepackt.
Michaela Boland:
Was kochen Sie eigentlich so?
Volker Brandt:
Heute gibt es zum Beispiel Lachs mit schwarzen Nudeln. Und dann habe ich noch so eine angebrochene Tomatensauce, das tue ich da rein und dann ist es fertig. Das geht innerhalb von zehn Minuten. Am 13. 11. bin ich eingeladen bei „Lichter Lafer Lecker“.
Erst mal mache ich hier den Bernd Stelter, dann geht es nach München, dann fahre ich nach Hamburg zu Lichter Lafer Lecker und dann fahre ich mit Susanne zur Lesung. Lesungen, das ist auch eine Sache von uns beiden.
Wir haben alles dabei, Klassiker, auch bunt, Morgenstern, Ringelnatz und auch ganz moderne, z.B. Dieter Hüsch über Weihnachten. Also, es ist ein ganzes Weihnachtsprogramm. Es geht mit der Bibel los und soll zwei mal 45 Minuten dauern, oben in Hasenfeld bei Buxtehude.
Michaela Boland:
Sie haben Ihre Termine alle ganz gut parat. Benötigen Sie überhaut ein Management?
Volker Brandt:
Nein, nein, das weiß ich einfach.
Michaela Boland:
Sie befinden sich seit Jahrzehnten immer wieder regelmäßig auf Tournee. Welche regionalen Unterschiede kann man beim Publikum ausmachen?
Volker Brandt:
Es gibt ja 5000 Tourneeorte . Wenn Sie in die Schweiz kommen, da ist ein sehr gutes Publikum. Sie können in Basel spielen oder Sie spielen in Frauenfeld, das ist alles sehr aufregend. Außerdem, in Österreich zu spielen, da kommen Sie ins klassische Urland des Theaters.
Da gibt es kleine Theater aus der Barockzeit, kleine süße Schatztheater, die noch vom Fürsten gebaut sind und wo man jetzt spielt und das ist ein großer Vorteil in Österreich.
Die Österreicher sind sehr musisch und theaterfreudig. Das habe ich insbesondere in der Josefstadt, in Wien. Wie versessen die Wiener auf ihr Theater sind, das ist ein Heiligtum, auch das Burgtheater. Das Publikum ist zwar auch kritisch, aber Sie müssen unterhalten.
Meine Freundin ist ja auch Österreicherin, die kommt aus Salzburg. Ich freue mich aber auch immer, in Norddeutschland zu sein. Was glauben Sie, wie schön das ist, wenn ich nach Heide in Holstein komme oder nach Buxtehude bis hoch an die Grenze. Auch auf Sylt können Sie spielen.
Im Sommer, da ist dann Bädertheater. Da kommen Leute, die am Strand liegen, dann abends hin. Das Publikum ist da total anders. Also um München herum: tote Hose. Um Köln herum: tote Hose.
In Köln sehr gut. In Stuttgart: bürgerlich. Um Stuttgart herum: ganz gut. Alles, was oberhalb des Mains liegt: sehr gut. Je höher der Norden, desto besser die Leute. Da oben im Norden zu spielen, ist ein Genuss.
Michaela Boland:
Inwieweit?
Volker Brandt:
Wenn Sie das um München herum spielen, dann merken Sie, das ist nicht so ihr Bier.
Michaela Boland:
Heißt es klischeehaft nicht häufig, dass die Mentalität der Norddeutschen im Vergleich zur restlichen Bevölkerung eher unterkühlt wirke?
Volker Brandt:
Nicht, was das Theater betrifft und nicht, was die Intelligenz betrifft. Die sind einfach gescheiter. Die denken anders. Die denken einmal um die Ecke. Wenn Sie mit einem schönen englischen Comedy-Stück kommen, das verstehen nur die da oben. In München ist das verloren.
Michaela Boland:
Sie haben in einem Interview bemerkt, dass die Menschen heutzutage allzu lässig gekleidet ins Theater kommen.
Volker Brandt.
Das ist ja eine Tatsache. Die sitzen ja heute mit Jeans und Sporthemd und Turnschuhen da.
Michaela Boland:
Muss man heutzutage eigentlich schon dankbar sein, wenn überhaupt noch Leute kommen?
Volker Brandt:
Ja, das ist richtig. Ich habe Aufführungen gesehen von Ingolf Lück in Berlin, da bin ich vorbei gegangen, weil ich mit dem Theater auch verbunden bin. Da habe ich gesagt, „habt Ihr eine ne Karte für mich heute Abend, ich will mal gucken“. Da haben Sie gesagt: „ Herr Brandt, wollen Sie Liegesitze oder mit 20.000 Leuten kommen?“ Da waren hundert Leute im Achthundert Leute-Haus.
Michaela Boland:
Was ist da los gewesen?
Volker Brandt:
Ingolf Lück zieht nicht, das Stück zieht nicht. Aber wenn dieses Stück, was im Keller spielt, „Männerhort“ gespielt wird, und da kommen die Komiker aus dem Fernsehen, dann ist es voll. Aber nun ist der Ingolf Lück auch kein schlechter Schauspieler.
Hat 39 Stufen gespielt, einfach leer. Sie kämpfen nicht in Hamburg, da ist es gut verkauft. In Berlin ist es ganz schwer, weil auch so viel los ist. In Stuttgart gibt es eine gute gesetzte Abonnement-Gruppe, die kommen immer. Hier in Köln kommen sie auch immer.
Früher hatten Sie hier 50.000 Abonnenten, ja. Das ist jetzt nur noch die Hälfte. Deswegen sind da jetzt links und rechts immer so Streifen frei, weil die will dann keiner haben. Früher war alles voll.
Michaela Boland:
Muss man irgendwann objektiv auch Angst davor haben, dass einem das Publikum ausstirbt? Betrachtet man beispielsweise das Besucher- Durchschnittsalter der gestrigen Vorstellung des Stücks „Achterbahn“ verwundert es, dass es bei mindestens 65 Jahren lag.
Volker Brandt:
Das ist bei den ganzen Boulevardtheatern leider der Fall, dass es die älteren Damen mehr interessiert als die jungen Leute. Die jungen Leute kaufen gerne mal flott direkt am Tagesticket-Schalter. Aber eigentlich gehen die jungen Leute mehr ins Musical.
Das gab es ja früher auch nicht. Im Boulevardtheater, da haben sie ja die Schauspieler gesehen, die konnten alle singen und tanzen. Das nehmen uns heute die großen Dome-Ereignisse, z.B. hier, Herr Ochsenknecht mit dem „Hairspray“. Wie das auch sein mag, aber da gehen die lieber hin als in die Theater, wo die vielen älteren Leute sind.
Es ist ja bei Konzerten nicht viel anders. Also, wenn ich in der Berliner Philharmonie bin, erstens mal ist es da mit der Kleidung auch nicht so, die Berliner interessiert das gar nicht, und die Altersgruppe ist auch eher höher angesiedelt. Auch in München, im Resi-Theater oder in den Kammerspielen.
Ja, oder wenn Sie dann die Schaubühne sehen, och Gott, in Berlin die Schaubühne. Da sind die 40-Jährigen und 50-Jährigen, die Intellektuellen sozusagen. Die haben ihre Schaubühne. Gehen Sie in den Boulevard, sind lauter weiss gekrögelte Omas da.
Ins Theater des Westens geht auch der Bankbeamte mit seiner Freundin hin. Da ist dann irgendein Musical. In München ist das ja auch. Im Resi. Ich möchte nicht im Resi spielen. Da sind lauter eingebildete Rotweintrinker. Die lesen auch die Süddeutsche, sind alle sehr hochnäsig.
Und wenn da ein richtig wildes Stück ist, wie das, was ich da gesehen habe, und die lachen alle nicht, das war ganz öde. Das war so ein anarchistisches Stück und das haben die überhaupt nicht geschnallt. Da ist es schwer, Theater zu machen und gerade für die Schauspieler auch nicht sehr dankbar.
Michaela Boland:
Machen Sie lieber Boulevard oder klassisches Theater?
Volker Brandt:
Das kann ich mir nicht aussuchen, weil ich ja nicht fest engagiert sein will. Ich habe 20 Jahre Staatstheater gemacht und bin an allen großen Staatstheatern gewesen. Das ist gut. Jetzt bin ich freischaffend, das heißt, auch so etwas spielen. Ich spiele auf Tournee auch Klassiker.
Es ist ja nicht so, dass ich nur in Dörfern spiele, es sind ja viele Theater in Großstädten dabei. Wenn Sie „Der zerbrochene Krug“ spielen, von Kleist, dann haben Sie aber wirklich auch das anspruchsvolle Gefühl.
Selbst, wenn Sie es jeden Tag spielen müssen und nicht so wie am Staatstheater, zweimal in der Woche oder einmal oder alle 14 Tage. Es ist Kleist und wir spielen das auch wörtlich, nicht so wie Herr Gosch in Hamburg, wo die Hälfte des Textes von Herrn Gosch oder von den Schauspielern war ,oder so. Es war einfach ganz schrecklich. Da waren 300 Leute im Schauspielhaus. Da passen über tausend Leute hinein.
Michaela Boland:
Stehen Sie neueren Interpretationen kritisch gegenüber?
Volker Brandt:
Nein, nein. Es muss stimmen. Ich habe schon Aufführungen gesehen, das ging los mit Peter Brook, der „Ein Sommernachtstraum“ gemacht hat. Das ist jetzt auch schon dreißig Jahre her. Das war so modern und so gut, da war nichts von zopfigem Max-Reinhardt-Theater.
Also Elfen-Rumhüpfen oder so was. Ich habe bei Gründgens gespielt „Der Sturm“. Er hat den Prospero gespielt, ich habe den Ariel gespielt. Wir waren ganz modern, also wirklich, moderner geht`s nimmer.
Aber wenn Sie den „Sturm“ natürlich jetzt umwandeln, dass den Prospero eine Frau spielt, Hildegard Schmahl, wenn Sie das Ganze in einer Bar spielen lassen und wenn das Ganze mit Ausziehen versehen ist und sich hier dann auch schon wieder welche wälzen, in einem Baustück, wo Schlamm ist und Wasser, mag das ja aufgehen.
Die Kritiken waren sensationell. Ich habe Fotos gesehen, weil ich da abends immer entlang gehe und es sieht alles ganz sensationell aus, auch sehr gut fotografiert. Ich würde da schon rein gehen, kann aber leider nicht, weil ich selbst Vorstellung habe.
Michaela Boland:
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Volker Brandt:
Ich? Also, wenn ich meine Schmetterlinge angucke und Käfer, dann kann ich Ihnen nur eins sagen: Wer diese Tiere geschöpft und geschaffen hat, der muss ein genialer Hund sein (lacht). Weil so schön kann das selbst ein Modeschöpfer nicht erfinden.
Michaela Boland:
Lieber Herr Brandt, herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch. Für die Zukunft noch viele wunderbare Theaterstücke, schöne Filme und vor allem jede Menge weitere Michael Douglas-Synchronarbeiten.
Michaela Boland ist Journalistin und TV-Moderatorin. Bekannt wurde sie als Gastgeberin der Sommer-Unterhaltungsshow „HOLLYMÜND“ des Westdeutschen Rundfunks Köln. Seit 1988 schrieb sie für die Rheinische Post, unterschiedliche Publikationen der WAZ-Gruppe Essen, Bayer direkt und Kommunalpolitische Blätter.
Außerdem präsentierte sie die ARD-Vorabendshow „STUDIO EINS“ und arbeitete als On-Reporterin für das Regionalmagazin „Guten Abend RTL“. Auf 3-Sat, dem internationalen Kulturprogramm von ARD, ZDF, ORF und SRG, moderierte sie die Kulturtalkshow „Doppelkopf“, sowie für TV NRW, die Casino
Show „Casinolife“ aus Dortmund-Hohensyburg. Michaela Boland arbeitet auch als Veranstaltungsmoderatorin und Synchron- sowie Hörspielsprecherin.
Für die Gesellschaft Freunde der Künste moderiert sie den Kaiserswerther Kunstpreis sowie alle grossen Kulturveranstaltungen der Gesellschaft.
Seit Mitte 2009 ist sie verantwortlich für die Ressorts:
Michaela Boland und Gesellschaft Freunde der Künste