20.06.2013 Ein erster Blick über die Stadt begeistert schon

Musikalische Spektakel - Istanbul eine junge Stadt die niemals schläft, Stefanie Tendler sprach mit Umut Dorudemir über die Bedeutung von Straßenmusik

von: GFDK - Stefanie Tendler

Relativ schnell muss ich feststellen, dass ein kurzer Besuch nicht ausreichen wird, um diese Stadt zu entdecken und vor allem zu begreifen. Dies mag für jede Großstadt gelten, doch dieses Mal ist es mein persönliches Bedürfnis alle Facetten Istanbuls kennen zu lernen und diese nicht nur oberflächlich zu berühren oder anzukratzen.

Ein erster Blick über die Stadt und meine ersten Berührungspunkte mit ihr zeigen mir, dass ein Großteil des Lebens auf den Straßen und Gassen stattfindet. Die ansteigenden Temperaturen im April locken alle nach draußen. Besitzer von kleineren Boutiquen sitzen entspannt mit einem Cay vor ihren Läden und beobachten das rege Treiben, das sich vor ihren Augen abspielt. Und als wäre es für eine Großstadt vollkommen natürlich haben sich unzählige Katzen in das Stadtbild eingewoben.

Umherstreunend oder herumlungernd lassen sie sich von ziemlich wenig beeindrucken oder beunruhigen. Sie durchstreifen die schmalen Gassen schlafen auf den Dächern, in den Eingangsbereichen der kleinen Geschäfte und scheinen sich dabei sehr wohl zu fühlen. Es ist ein harmonisches Zusammenspiel mit den Bewohnern der einzelnen Stadtteile, die sie in den Alltag der Großstadt mit einbeziehen. An vielen Ecken liegt sogar Katzenfutter aus, das den Hunger der vielen Streuner stillen soll.

Es fällt auf das Istanbul abgesehen von seinen zahlreichen Besuchern eine durchschnittlich junge Stadt ist, die lebt und mancherorts niemals schläft. Neben dem beruflichen Alltag weiß man hier für Ausgleich zu sorgen und das Leben in vollen Zügen zu genießen.

Beim Überqueren der Galata Brücke kann man zahlreiche Fischer beobachten. Jeden Morgen stehen sie schon früh mit ihren Angeln am Geländer und warten geduldig darauf, dass etwas anbeißt. Ein Sesamring oder ein Cay dürfen für ein Päuschen natürlich nicht fehlen. Trotz seiner Größe und des Gewusels der Menschenmassen, das oftmals etwas chaotisch sein kann, kennt Istanbul keine Hektik, sondern ist auf entspannende Art entschleunigt. 

Mancherorts begegnen mir Misstrauen und Skepsis. Als Fremder wird man in den kleineren Bezirken und Stadtteilen wie Fener und Fatih zum Eindringling und als solcher auch ab und an wahrgenommen. Dennoch sind es gerade diese Viertel, die mich faszinieren. Anonymität untereinander gibt es nicht und es scheint eine richtige Gemeinschaft zu existieren. Allerdings sind Fener und Fatih auch deutlich konservativer. Das Frauenbild ist hier geprägt von den Einflüssen des Islams und Freizügigkeit wird hier regelrecht verachtet.

Abends finden an größeren Plätzen wie unter anderem am Galata Turm musikalische Spektakel statt, um die sich schnell größere Menschentrauben bilden, jeder mit einem mitgebrachten Getränk in der Hand lauschen sie den Klängen der Musik.

Die Takatuka Band ist eine der Gruppen, der man in Istanbul häufiger begegnen kann, ob auf der Straße, oder in einer Bar sie sind da nicht so festgelegt. Auf Türkisch bedeutet Takatuka Geräusch oder Gerassel und im übertragenen Sinne ist ihre Musik ein Sammelsurium an Weltenrasseln. Sie singen auf mehr als acht verschiedenen Sprachen und haben ihre eigenen Interpretationen von Balkan Musik oder traditionellen türkischen Liedern definiert.

Ihre Musik ist eine bunte Mischung aus Folk, Jazz, Blues, Reggae und Ska. 2010 haben sie sich zusammen gefunden und am Anfang waren es nur drei Freunde, die zusammen auf den Straßen gespielt haben, aber mit der Zeit sind sie gewachsen und nun spielen sie auch größere Gigs. Der Sänger und Gitarrist der Band Umut Dorudemir hat seinen Blick auf Istanbul, das Leben dort und die Bedeutung von Straßenmusik mit mir geteilt:


Welche Bedeutung hat Istanbul für dich und die Art der Musik, die du machst?


- Seitdem ich ein kleines Kind bin ist Istanbul für mich der Ort meiner Träume. Aber nicht nur mir geht es so. Istanbul ist schon immer ein einzigartiger Ort und dies nicht nur aufgrund der vielen interessanten historischen Hinterlassenschaften, die man hier entdecken kann. Es gibt außer den Museen, Schlößern, Moscheen, Kirchen, Hammams vor allem ein harmonisches Zusammenspiel von orientalischen und europäischen Gemeinschaften- eine Symbiose von Kulturen, die miteinander verschmelzen. Dieser Frieden hat mich stark beeinflusst und mich dazu gedrängt meine Beobachtungen mit der Stimme von Musik Ausdruck zu verleihen.

Welche Rolle hat Straßenmusik in deinen Augen?

- Die Straße ist die beste Bühne für Musiker, denke ich. Es ist ein Ort an dem wir uns ausprobieren können und dabei eine direkte und sehr ehrliche Resonanz von unserem Publikum erhalten. Nach einer gewissen Zeit ist mir aufgefallen, dass nicht alle Musiker Freude daran haben oder sich wohl fühlen, wenn sie auf der Straße spielen und mit der Realität konfrontiert werden. Sie ertragen die authentische Reaktion nicht oder fürchten das was ihnen begegnen könnte.


Für mich ist es aufregend, dass es keine Grenzen oder zeitlichen Limitierungen gibt wenn man draußen spielt, da man selbst entscheiden kann wie lange man spielt und vor allem was man spielt. Es ist ein Gefühl der Freiheit. Wir müssen niemandem gefallen, denn jeder kann selbst entscheiden, ob er Lust darauf hat uns zuzuhören. Wir fühlen uns hierdurch leicht und wild und das schönste daran ist, dass unsere Musik nichts kostet! Sie ist für alle da und gehört in dem Moment der Straße! 

Was wollt ihr mit eurer Musik zum Ausdruck bringen?

- Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir überhaupt wirklich etwas ausdrücken möchten. Musik ist niemals statisch genauso wie es sich mit den Gefühlen verhält, die in unserem Publikum ausgelöst werden. Wahrscheinlich ist unser Hauptthema Frieden.

Wovon handeln eure Texte?

- Ich schreibe normalerweise kurze Anekdoten oder Textauszüge aber mir ist es noch nicht ganz gelungen sie komplett in die Musik einzubetten. In erster Linie sind wir eine instrumentale Band.


Wie erfährst du das Leben in einer Stadt wie Istanbul?

- In Istanbul zu leben ist einfach verrückt. Es leben ungefähr 17 Millionen Menschen in dieser Stadt. Die genaue Zahl ist noch nicht einmal bekannt, da es viele illegale Einwohner gibt. Aber eigentlich muss man sich nur die sieben Hügel vorstellen, die sich über zwei Kontinente erstrecken in ein und derselben Stadt, öffentliche Verkehrsmittel, die dich 24 Stunden lang in jede Ecke der Stadt geleiten, in die du gerade möchtest und dann natürlich die unbeschreiblichen unzähligen Optionen seine Zeit zu verbringen. Möglichkeiten, die eine Stadt niemals schlafen lassen. Istanbul hat aber auch verschlafene Örtchen entlang des Bosporus, die einen extremen Kontrast zu dem pulsierenden Leben von Beyoglu oder Taksim bieten.

Bist du aus Istanbul oder bist du zugezogen, weil du von der Stadt angezogen wurdest?

- Ich wurde in Diyarbakir geboren, das im Südosten der Türkei liegt und wo viele Kurden leben. Hier habe ich meine Kindheit, meine ersten 10 Lebensjahre verbracht. Mit meiner Familie bin ich dann in eine andere Stadt gezogen. Erst vor 10 Jahren kam ich nach Istanbul und fühle mich hier absolut zu Hause und bin hier angekommen. Auch wenn die Stadt oft ziemlich verrückt ist und sehr viel um mich herum passiert, ist es eine positive Verrücktheit, die ich nicht mehr missen möchte.

Mit einer Sammlung an Eindrücken stelle ich nach 5 Tagen fest, dass ich einen kleinen Krumen des Sesamrings der für mich ein Symbol dieser Stadt geworden ist, probiert habe und definitiv wiederkommen möchte.