Du musstest das Stück nur einmal hören um zu wissen, dass du auf etwas ganz Besonderes gestoßen warst. In einem Jahr, das im Bereich des Radiopop ansonsten deprimierend und ohne Höhepunkte vor sich hin siechte, schien diese Platte von einem anderen Planeten zu stammen – einem der besser und sexier war.
Ein taumelnder, abgehackter, provozierender Rhythmus, angesiedelt irgendwo zwischen Dubstep und Grime. Die Heraufbeschwörung der besten Clubnacht, die du je hattest, mit all ihrem Vergnügen und den Gefahren, die sie mit sich bringt. Und – das ist das Entscheidende – eine Mädchenstimme.
Die Stimme war hoch und lieblich, und doch stark und ungezähmt. Mit sämiger Virtuosität umschlang sie Worte über einen hämmernden Bass und sog den Rauch auf, so wie Donna Summer vor vielen Jahren einfachen Worten über Liebe und Sex ein überirdisches Feuer einhauchte – und das zu einem ebenso fremdartigen elektronischen Rhythmus.
‚I Feel Love“ gründete beiläufig die Tanzwelt, in der wir alle leben, und dieser neue Song machte sie mit seiner vollständig femininen und sinnlichen Interpretation von Hedonismus bereit für ein neues Zeitalter – eines, das den metaphysischen Eigenschaften einer Clubnacht mit extrem lauter Musik gegenüber zynisch geworden ist. Und dazu... die Stimme. Sie wirkte urban. Sie verkörperte Pop. Und Soul. Und sie war ein wenig überirdisch. Die Stimme nannte sich Katy B. Und sie war unbestreitbar auf einer Mission.
alles andere als ein überirdisches Wesen
Aber die Person hinter ‚Katy On A Mission’ ist alles andere als ein überirdisches Wesen... zumindest nicht heute. Heute ist sie eine kleine, freundliche und unglaublich hübsche junge Frau aus Peckham, die sich in einem kleinen Zimmer des Radiosenders Rinse FM in Ostlondon frisieren lässt.
Mit dabei ist ihr Mentor und Produzent Geeneus, der auch Mitbesitzer des legendären Piratensenders ist, der im Juni 2010 endlich seine längst überfällige Sendelizenz erhalten hat. Geeneus wird ihr dabei helfen zu erklären, wie eine BRIT-School-Absolventin zur Schöpferin einer Hymne werden konnte, der es aus dem Untergrund heraus gelungen ist, die Massen zu begeistern.
Und wie sie es außerdem geschafft hat, mit dem bald erscheinenden Album ‚On A Mission’ eines der am sehnsüchtigsten erwarteten Dance-Alben der jüngsten Vergangenheit aufzunehmen. Es scheint wie eine Erfolgsgeschichte über Nacht. Aber tatsächlich hat es mehr als drei Jahre gedauert. Und Katy ist erst 21.
Die Geschichte beginnt im Londoner Stadtteil Peckham
Als junges Mädchen liebte Katy R&B-Musik, war aber irgendwann einfach nicht mehr zufrieden damit, nur ihre Lieblingsplatten von Boyz II Men, Destiny’s Child und Alicia Keys zu hören. Ihre Eltern unterstützten sie in ihrer Absicht, eine Karriere als Musikerin aufzunehmen und schickten sie an die BRIT School.
Ihr soulbegeisterter Vater war selbst Sänger gewesen und zahlreiche Tanten, Onkel und Cousins waren Musiker. Während der gemeinsamen Zeit mit Gleichgesinnten an der BRIT School entdeckte Katy ihre Liebe für Neo-Soul, insbesondere für Erykah Badu und Jill Scott.
‚Weißt du was? Ich freue mich so sehr, von der BRIT School und all dem erzählen zu können. Die Leute denken immer, dass das so eine Schule wie in ‚Fame’ ist, aber so ist es ganz und gar nicht. Ich war 14, als ich dort anfing, und wir hatten ganz normalen Unterricht.
Musik war nur ein kleiner Teil davon
Aber die Atmosphäre an der BRIT ist einfach unglaublich. Den Schülern macht es tatsächlich Spaß, zur Schule zu gehen. Du erlebst in so einer kurzen Zeitspanne so viel... und die Leute, die ich dort kennengelernt habe, sind noch heute meine besten Freunde. Es gibt ein richtig gutes Studio und dort habe ich meine ersten Demos aufgenommen.’
An der BRIT School wird angehenden Künstlern auch beigebracht, wie sie ihr eigenes Material aufnehmen können; dafür gibt es Crashkurse in Technik und Produktion. Dazu kommt, dass Katy klassisches Klavier beherrscht. Warum also feuert sie Geeneus und Co-Produzent DJ Zinc nicht einfach und macht alles selbst?
Mir ist es lieber, wenn sie es machen, echt! Ich bin zu faul! Beim Singen und beim Schreiben von Songs kann ich mich wirklich voll einbringen. Das sind die Bereiche, in denen ich mein Handwerk perfektionieren will.’
Nach der BRIT School ging Katy ans Goldsmith College in New Cross im Süden Londons, um dort ihren Abschluss zu machen. ‚Da erkennst du erst, was alles dazu gehört, Musiker zu sein... wie man probt, wie man einen Auftritt auf die Beine stellt. Und als Sängerin ist es wirklich hilfreich, die Theorie zu beherrschen, die Musik zu verstehen und zu wissen, worüber du sprichst. Sänger, die einen Raum voller Musiker betreten, sind oft eingeschüchtert. Die reden mit dir, als wärst du ein Idiot. Genauso viel über Musik zu wissen wie sie, gibt dir eine Menge Selbstvertrauen.’
Katys Durchbruch
Ihren ersten Durchbruch hatte Katy bereits im zarten Alter von 17. DJ NG und ein MC namens Versatile (nicht der musikalische Partner von Toddla T) nahmen damals gemeinsam mit Katy ‚Tell Me’ auf, eine der ersten und auf lange Sicht beliebtesten UK-Funky-House-Hymnen. Geeneus nahm den Kontakt auf.
In dem Moment, in dem ich sie hörte, wusste ich, dass da etwas in ihrer Stimme war. Ich schrieb eine Menge Grime-Musik und die Szene war viel zu sehr dominiert von Männern. Ravende Bassläufe konnten wir den ganzen Tag machen.
Aber wir brauchten wieder etwas Weibliches darin. Wenn ich dieses Album Mädchen vorspiele, ist ihnen die Hintergrundmusik völlig egal. Sie könnten sich nicht weniger dafür interessieren. Aber sie sagen „Oh... diese Texte.“ Es war nicht so geplant. Aber das ist, was Katy einbringt. Ich denke, wir haben unsere zwei Welten zu einer verschmolzen.’
Die ursprüngliche Idee bei Rinse FM war es, ein Album zu machen, das einen Überblick über alle DJs bietet, von denen die meisten auch noch Komponisten und Produzenten sind. Es wäre also ein künstler- und genreübergreifendes Album geworden. Und um zu erreichen, dass diese Platte weniger wie eine eklektische Zusammenstellung und eher wie ein Album klingt, fehlte eine musikalische Verbindung als Rahmen.
Aber trotz Katys Beitrag ließ sich die Bandbreite von Produzenten nicht in ausreichendem Maße miteinander vereinbaren, als dass irgendeine Kontinuität herzustellen gewesen wäre. Gleichzeitig verliebten sich Geeneus und sein Mitstreiter Zinc in Katys Stimme, in ihre Texte und in ihre Melodien.
Mehr und mehr wurde klar, dass das geplante Rinse FM Album sich zu einem potenziellen Debütalbum für Katy B. entwickelte. ‚Es schien einfach natürlich. Geeneus und Zinc brachten die besten Tracks ein und ich genoss die Zusammenarbeit mit ihnen.’
Katy als Songwriterin
Der Prozess verfeinerte Katys aufkeimende Fähigkeiten als Songwriterin. Um es deutlich zu machen: die Beats stammen alle von der Reihe an hochrangigen Produzenten, zu der auch Benga und Benny ill (Horsepower Productions) sowie - in außerplanmäßigen Gastauftritten – Magnetic Man gehörten. Aber die Songs sind das alleinige Werk von Katy.
Mir wurden die Beats vorgelegt, mit denen ich arbeiten sollte. Sie kamen von Leuten, die Instrumentalmusik so machen, dass es keinen Song gibt. Es gab niemanden, der meine Songs für mich schrieb. Ich war also quasi dazu gezwungen, aber dann habe ich herausgefunden, dass mir diese Arbeit wirklich gefällt.’ So sehr, dass Katy jetzt auch bei der EMI als Songwriterin unter Vertrag steht. Trotz allem dauerte es drei Jahre voller Arbeit und Experimenten um ‚On A Mission’ zu machen.
Wir haben ein ganzes Album aufgenommen und vollständig wieder verschrottet’, sagt Katy lachend. ‚Es war wie... eine Aufwärmübung’, fügt Gee hinzu. Aber... drei Jahre? Teenager sind nicht gerade für ihre Geduld berühmt. Hat diese langsame Entwicklung Katy nicht wahnsinnig gemacht?
‚Auf jeden Fall. Aber man muss begreifen, dass Gee und Sarah [Lockhart, Mitbesitzerin von Rinse FM] vielbeschäftigte Menschen sind. Gee ist Manager, DJ, Produzent, Besitzer eines Radiosenders, Promoter, Labelchef. Und all das machen sie wirklich gründlich.
Album Katy on a mission
Also hatte ich manchmal schon das Gefühl, ganz unten auf ihrer Prioritätenliste zu stehen. Aber ich habe immer daran geglaubt, dass sie ihr Bestes geben würden. Und ich bin froh, dass es gerade jetzt passiert ist. Ich musste meinen Abschluss machen und ‚Katy On A Mission’ nahm in dem Moment Form an, in dem ich die Uni fertig hatte. Das Timing ist perfekt.’
‚Außerdem ist es eine tolle Erfahrung, mit ihr zu arbeiten’, sagt Geeneus lächelnd. ‚Sie ist so natürlich und echt, genau wie wir. Wir haben mit anderen Sängerinnen gearbeitet und die sind alle ein wenig Diva-mäßig. Ursprünglich wollten wir das Rinse-FM-Album in sechs Monaten rausbringen. Aber Zinc und ich erkannten, dass wir wirklich gerne mit Katy arbeiteten.
Also besser darauf konzentrieren und es richtig machen. Und es ist so viel Zeit vergangen und sie hat immer noch keinerlei Diva-Einstellung angenommen. Und auf einmal hatten wir ein Album und das Stück „Katy On A Mission“. Der Song startete einfach durch. Es war ein langsamer, unsichtbarer Aufstieg und wir haben überhaupt nicht gemerkt, dass wir dabei waren.’
Wie sich herausstellte, war das Ausmaß des Erfolgs von ‚Katy On A Mission’ für die Macher ein genauso großer (toller) Schock wie für uns bescheidene Popfans. So beschreibt es Geeneus. ‚Der Erfolg warf all unsere Pläne um. Wir waren total überrascht. Ich denke, ein Großteil der Underground-Szene hat sich abgesprochen und die Platte auf einmal gekauft.
Vielleicht, weil das Video bei einem echten Rave aufgenommen wurde – wir hatten alle die Schnauze voll von Leuten, die Videos auf nachgestellten Raves drehten. Dann wurde der Rest der Welt aufmerksam und sprang auf den Zug auf.
Bloß kein Ibiza Pop-House
„Katy On A Mission“ war wie ein frischer Wind. Wir wollen keinen Ibiza-mäßigen Pop-House mit MC-Einlagen machen. Wir versuchen einfach nur, etwas Echtes zu machen. Wir würden uns lieber die Pulsadern aufschneiden als Fließbandmusik zu machen.’
Kommen wir also zu Katys Debütalbum ‚On A Mission’. Zwölf Tracks, die Underground-Beats, Pop und gefühlvolle Perfektion miteinander verschmelzen... und dazu kommt dieses außergewöhnliche Etwas, das ‚Katy On A Mission’ zu so viel mehr macht, also zur bloßen Summe der einzelnen Bestandteile. Worum geht es also, Katy?
‚Es geht um mich; einfach als junge Frau, Partys, Beziehungen... das Album beschreibt auf jeden Fall, was mich ausmacht. Songs wie Disappear und Easy Please Me beschreiben Erfahrungen aus meinem Leben und Gefühle, die ich selbst gefühlt habe.
Ich liebe Jill Scott, weil ihre Texte wunderschön sind und trotzdem immer eine einfache Geschichte erzählen, auf intelligente Weise. Wenn jemand über Liebe schreibt, will man sich auch damit identifizieren können.’
Geeneus: „Ich habe Katy beim Schreiben an diesem Album beobachtet und ich weiß, dass jeder Track eine Bedeutung für sie hat. Und in dieser Bedeutung finden sich eine Menge von Menschen wieder. Viele Leute schreiben darüber, anderswo zu sein. Katy schreibt darüber, hier zu sein, hier und heute.’
Katy: ‚Für mich ist Power On Me einer der Tracks, die das Album ausmachen. Er hat Drum ’n’ Bass. Er hat House. Er hat Grime – Ich weiß wirklich nicht, mit welchem Genre man den Song beschreiben soll. Aber er ist dunkel und stimmungsvoll. Wenn ich Musik wie Dubstep höre, möchte ich über düstere Empfindungen schreiben.’
Fröhlicher Mädchenpop
Die aktuelle Single Lights On ist eine perfekte Mischung aus urbaner Dunkelheit und fröhlichem Mädchenpop. Und außer Katy ist die großartige Ms Dynamite darauf zu hören. Die Mercury-Preisträgerin war zur Arbeit mit Zinc und Geeneus ins Rinse-Studio gekommen, als Katy mit Gee an Lights On schrieb. Gee bat sie, ein paar Zeilen einzuspielen und die große Frau Dynamite machte mit.
Der Rest ist Geschichte. „Das war vor etwa zwei Jahren“, gibt Geeneus zu bedenken. „Damals hatte noch niemand von Katy gehört und Ms Dynamite war ganz groß im Geschäft. Sie hat uns also einen riesigen Gefallen getan.’ ‚Sie war wirklich sehr hilfsbereit’, fügt Katy hinzu. ‚Und ein ganz toller Mensch.’
Während das Album Form annahm, setzte Katy durch, in ihren Live-Shows eine richtige Band hinter sich zu haben und nicht wie bislang allein mit technischem Equipment auf der Bühne zu stehen. Mit ihrer zehnköpfigen Live-Band trat Katy kürzlich als Support auf der Tour von John Legend and The Roots auf und feierte damit triumphale Erfolge.
Die Nachricht von diesen frühen Auftritten hat zu einer außergewöhnlich hohen Nachfrage für ihre erste Headliner-Tour im Mai 2011 geführt. Kleine regionale Veranstaltungsorte mussten schnell noch durch größere Hallen ersetzt werden, die mindestens Platz für 1.000 bis 1.500 Zuschauer bieten. Und wegen des sofortigen Ausverkaufs der Tickets für ihr Konzert in London musste schnell noch ein zweiter Termin her. Tickets für Katy gehören zu den begehrtesten des Jahres 2011.
Mehr Live-Experimente
Und auf ihrem nächsten Album möchte Katy noch mehr mit Live-Instrumenten experimentieren. ‚Wir haben schon Trompeten und Keyboards auf dieser Platte, aber ich möchte beim nächsten Mal mehr davon einbringen.’ Aber bevor solche ehrgeizigen Visionen umgesetzt werden können, muss vorher noch das Debütalbum herausgebracht werden. Katy hat vielleicht nicht geplant, Popstar zu werden.
Aber es wird immer klarer, dass sie keine andere Wahl mehr hat. Also, was genau ist die Mission der Katy B? ‚Ich hatte immer diese „Wer interessiert sich schon für die Charts?“-Einstellung. Aber ich wollte auch schon immer erfolgreich sein, bei dem was ich tue. Alles, was ich je wollte, war meinen Lebensunterhalt zu verdienen.’
‚Wir hoffen, dass die Leute zur Abwechslung mal auf echte Musik abfahren’, sagt Geeneus stolz. ‚Auf etwas, das zurück auf Soul II Soul oder Neneh Cherry geht. Und bis jetzt sieht es ganz gut aus.’
Katy B denkt einen Moment darüber nach, murmelt irgendetwas Selbstironisches... und führt dann den bestmöglichen Grund dafür an, ‚On A Mission’ gemacht zu haben. ‚Weil ich zu bestimmten Sängern aufsehe, wäre ich gern genau das für jemand anderen. Es wäre cool, wenn das Lieblingsalbum von irgendjemandem ein Katy-B-Album wäre. Das wäre für mich das Allergrößte.’
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Johanna vom Heede
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