21.01.2020 Die Schande Europas

Die Macht der Schande - Ein Weckruf für alle EU-Bürger

von: GFDK - Reden ist Silber -Sönke C. Weiss

Das Café Procope in Paris, in dem ich diesen Artikel schreibe, war einst der bevorzugte Treffpunkt junger Revolutionäre.

Hier stellte der damals junge Rechtsanwalt Georges Danton den ersten Botschafter der noch jungen Vereinigten Staaten in Frankreich Benjamin Franklin, Mitverfasser der Unabhängigkeitserklärung mit einer vorangestellten ersten Menschenrechtserklärung, zur Rede:

„Die Welt ist nichts als Ungerechtigkeit und Elend. Hinter eurer Erklärung steht keinerlei Justiz oder Militärgewalt, die Respekt verschaffen könnte.“ Franklin antwortete ihm: „Falsch! Hinter dieser Erklärung steht eine beträchtliche, unvergängliche Macht. Die Macht der Schande.“

Das war um 1776, und heute, fast 250 Jahre später, sollten wir, die Bürger der Europäischen Union, diese Macht der Schande wieder anwenden, politisch, denn der moralische Verfall auf den Europa, nein wir zusteuern, ist fast nicht mehr aufzuhalten.

Genau darum geht es in Jean Zieglers neuem Buch „Die Schande Europas“, das am 20. Januar bei C. Bertelsmann auf Deutsch herausgekommen ist und 15 Euro kostet.

Kurz zum Autor: Jean Ziegler ist Soziologe und war von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, von 2009 bis 2019 Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats und ist heute noch immer als dessen Berater tätig.

Also ein Mann mit moralischem Gewicht. Im Mai zurückliegenden Jahres nun besuchte Herr Ziegler das EU-Flüchtlingslager Moria auf Lesbos und schildert auf 143 erschütternden Seiten seine Begegnungen mit Geflüchteten, die von ihrem Leidensweg berichten, dass einem Seite für Seite der Atem stockt und man sich als EU-Bürger nur noch schämen möchte; in der Tat, nur noch schämen.

Denn die unmenschliche Realität dieser so genannten Hotspots ist bar jeder Vorstellungskraft. Unterdessen hat die EU, immerhin mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, die Sicherung ihrer Außengrenzen nicht nur massiv verstärkt, sondern akzeptiert den Tod schutzsuchender Menschen, die von den Institutionen FRONTEX und Europol regelrecht gejagt werden, ohne mit der Wimper zu zucken.

Widerlicher noch: die humanitäre Rhetorik, auch gerne von der neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verwendet, ist nichts als Kosmetik in Zeiten inhumaner Praxis, wo EU-Mitgliedstaaten, die sich einer humanitären Lösung verweigern, keine Sanktionen zu fürchten brauchen, wie es ihnen die Antrittsrede von der Leyens zwischen des Zeilen versprochen hat.

Kurzum: „Die Schande Europas“ ist für mich bereits heute das wichtigste Buch 2020. Es ist verständlich geschrieben, ohne Polemik, immer sachlich, und haut einen gerade wegen seiner nüchternen Schilderung um, dass man am liebsten aufschreien möchte:

„Warum macht ihr das?“ Oder besser gesagt: „Warum lassen wir das zu?“ Denn es sind wir, die Bürgerinnen und Bürger, die über die Macht der Schande verfügen.

Es ist an uns, etwas zu verändern. Von alleine tut sich nämlich nichts. Danke, Jean Ziegler, für diesen erneuten Weckruf. 

Sönke C. Weiss

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