12.06.2014 alles nur geldmacherei?

Comeback des Schlagers nichts als Trugschluss? Michaela Boland trifft Sänger Haluk Koudsi

von: GFDK - Michaela Boland

Ist das vielbeschriebene phönixhafte Revival des deutschen Schlagers in Wahrheit nur Augenwischerei? Tatsächlich sollen dort nämlich einzig drei Künstler präsent sein: Andreas Gabalier, Andrea Berg und natürlich Helene Fischer. Letztere werde augenblicklich ganz schön verheizt, findet zumindest Haluk Koudsi. 

Der Schlagersänger und Urenkel des früheren syrischen Staatspräsidenten, Nazim al- Kudsi, ist sich sicher, dass man lediglich glaube, der Schlager habe eine kometenhafte Renaissance erfahren. In Wirklichkeit jedoch handele es sich bei der gerade angesagten deutschen Musik um Disco-Sounds a la Avicii bzw. volkstümlich angehauchte Rock-Pop-Klänge. 

Welchen Stellenwert der echte Schlager tastsächlich hat, wie man seinen Weg in der Branche ohne Vitamin B oder peinliche Auftritte in massentauglichen Busch-TV-Shows meistern kann und warum das Genre seit 25 Jahren sein Leben ist, hat der Mann, dem ZDF-Hitparaden-Ikone Uwe Hübner einen entscheidenden Schubs gab, im Gespräch verraten. Michaela Boland trifft Schlagersänger Haluk Koudsi.

Zwei augenscheinlich gut situierte Herren im eleganten Outfit des 19. Jahrhunderts reiten vor der düsteren Kulisse eines alten Grusel-Gemäuers in Richtung Innenhof. Ihre Mission: Die Seelen-Rettung des holden Eheweibes des einen der beiden. Während sein Kumpan, der in gewisser Weise an Igor, Dr. Frankensteins buckligen Gehilfen, erinnert, mit Augenklappe und Zylinder letzte eindringliche Worte an den verzweifelten Ehemann richtet, soll dieser das scheinbar Unmögliche bewerkstelligen:

Einen Holzpfahl durch das Herz der nur vermeintlich Toten jagen, die innerhalb des hauseigenen Kellergewölbes in einem Sarg verweilt und einmal die Seine war. So beginnt der geradezu phantastisch umgesetzte Videoclip zum Song, "Atemzug", des Gesangsduos Paradies

Haluk Koudsi und Kollege Ingo Himmelmann hatten das Musikprojekt vor genau zehn Jahren gestartet und sich Schlager auf die Fahne geschrieben. Wohl mutet das Gänsehaut-Video zum Song für die gewählte Musikrichtung auf den ersten Blick ungewöhnlich an, überzeugt jedoch sowohl von der szenischen Umsetzung her als auch durch den Schnitt. Bässe, Drums und jede Menge Gitarrenriffs mag man vielleicht weniger in Schlagermusik für möglich halten, wird aber schnell eines Besseren belehrt.

 Die eingängige melodiöse Klangfarbe des Stücks fügt sich nämlich perfekt mit Lyrics und Beat ineinander. Alles ist stimmig. Und wer Vampire-Stories mag, wird ohnehin begeistert sein. Nicht umsonst hat sich Koudsi für die Produktion dieses Meisterwerks Crew-Mitglieder des weltweiten Kino-Erfolgs "Matrix" mit Keanu Reeves an die Seite geholt. Heute treffe ich den gebürtigen Hildener zum Gespräch.

Für die Gesellschaft Freunde der Künste hat mir der sympathische Rheinländer mit türkisch-syrischen Wurzeln schon einmal von seinen neusten Projekten berichtet.

Michaela Boland: Mit eurem Video zu „Atemzug“ ist euch im Zeitalter von Twilight und Vampire-Diaries ein außergewöhnlicher und aufwendiger Clip gelungen. Wie kam es dazu?

Haluk Koudsi: Mein bester Freund ist Filmregisseur und arbeitet auch als Kameramann für Fußballstadien. Bei der Sportschau siehst du ihn regelmäßig. Es war schon immer sein Traum, mal ein Musik-Video zu drehen. Wir haben aus Hollywood die Leute von dem Film Matrix eingeflogen. Also, wir haben enorm viel Geld dafür ausgegeben. Mein Freund hat dann das Drehbuch geschrieben, gedreht und die komplette Produktion übernommen. Die Gothic-Leute fanden das auch gut. 

Michaela Boland: Am 25. Juni erscheint der aktuelle Paradies-Titel. „Jeder neue Tag mit dir“. Hier gibt es ein entscheidendes Novum.  

Haluk Koudsi: Normalerweise fahre ich Auto, dann fällt mir eine Melodie mit einem Text ein, danach schalte ich schnell über Bluetooth das Diktiergerät an und ich singe da hinein. Dann habe ich den Titel. Anschließend schreibe ich die Akkorde heraus, schreibe den Text durch und wenn das Ganze dann mit allem Drum und Dran fertig ist, schicke ich es meinem Kollegen Ingo zu, der es dann arrangiert. So lief es bisher.

Bei dem ganz neuen Titel, der jetzt herauskommt, ist es aber ganz anders gelaufen. Da bin ich auch über meinen Schatten gesprungen. Wir haben den Produzenten Didi Hamann kennengelernt

Er hat Banaroo aus den 90er Jahren zum Erfolg geführt, mit Chris Roberts, Howard Carpendale und Cicero gearbeitet. Jetzt hat Didi Hamann unseren neuen Song, „Jeder neue Tag mit dir“, komplett geschrieben und getextet. Passend dazu wird es auch noch eine Disco-Fox-Version für die DJs geben.

Michaela Boland: Der Schlager scheint derzeit einen enormen Aufwind auf der Beliebtheitsskala der Gesellschaft zu erfahren. Wirkt sich dieser Trend auch auf euch aus?

Haluk Koudsi: Man muss immer vorsichtig sein mit dem Schlager. Man denkt, er sei jetzt da und extrem präsent, das ist aber gar nicht der Fall, denn präsent sind nur drei Künstler: Andreas Gabalier und Andrea Berg, von der man ja zeitweilig auch weniger gehört hat. Doch dank Dieter Bohlen war sie ja dann wieder da, und natürlich Helene Fischer. Wenn man sich jedoch Songs von Helene Fischer anhört, ist das ja in dem Sinne kein Schlager. Das ist schon fast Disco-Musik, so wie es Avicii machen würden oder auch jedweder Disco-DJ täte. 

Nur weil es in deutscher Sprache gesungen wird, wird es eben als Schlager gewertet. Auch Andreas Gabalier ist tatsächlich ein Volks-Rock `n Roller, wie er sich ja auch selber nennt. Auch das ist kein richtiger Schlager. Wenn man mal in seine Konzerte hineinschaut, stellt man fest, dass zwar ein wenig Volksmusik dabei ist, aber er singt immer wieder auch ganz normale Popsongs und ganz normale Rocksongs. Ich finde natürlich gut, dass diese drei Künstler mal etwas anderes machen, aber als Schlager würde ich das keineswegs bezeichnen.

Michaela Boland: Wie würdest du diese Stilrichtungen nennen?

Haluk Koudsi: Vielleicht Neo-Schlager. 

Michaela Boland: Wie auch immer man es bezeichnet, warum ist die Akzeptanz deiner Meinung nach scheinbar plötzlich so ungeheuer hoch?

Haluk Koudsi: Es ist die Sehnsucht nach deutschsprachiger Musik. Es gab ja Anfang der 80er Jahre die Neue Deutsche Welle. Da kam sehr viel Zeug raus, was auch sehr banal war, aber das hat trotzdem etwas Lustiges gehabt. Die Leute haben es akzeptiert, es lief aber nur zwei drei Jahre. Mit Markus und Nena, die sich noch gehalten hat. Auch die Humpe-Schwestern, haben sich gehalten und waren über Jahre hinweg erfolgreich, später mit 2-Raumwohnung und Ich und Ich. Die Neue Deutsche Welle war zwar sehr erfolgreich, aber nach diesem Zeitraum war die deutsche Musik auch wieder weg. 

Dieses Phänomen hast du in Frankreich übrigens nicht, denn da gibt es eine Quote. Ein gewisser Prozentsatz an französischen Liedern muss dort im Radio gespielt werden. Hier in Deutschland gibt es diese Quote nicht. Dann kam bei uns aber dieses Niveauvollere. Solche Leute wie Grönemeyer und Lindenberg. Lindenberg war zwar auch schon in den Siebzigern da, aber mehr als Schlagzeuger. Es gab Westernhagen und PUR, Illegal 2001. Dazwischen gab es auch immer mal wieder die Münchener Freiheit. 

Plötzlich wurden auch ernstere Sachen ein Thema in der Musik. Politik und sozialkritische Dinge. Diese Sache ist aber mittlerweile auch vom Tisch. Dafür haben sich solche Künstler wie Xavier Naidoo etabliert. Schaut man heute in die Album-Charts, findet man bis zu 60% deutschsprachige Alben. Nicht nur Helene Fischer, die ja gerade sogar mit zwei Alben vertreten ist und Xavier Naidoo, sondern auch Jan Delay, Revolverheld oder Silbermond.

Michaela Boland: Was hältst du persönlich von Helene Fischer und ihrer Arbeit?

Haluk Koudsi: Sie kommt aus dem Musical-Bereich und hat natürlich eine einwandfreie Ausbildung genossen. Sie liefert eine gute Qualität ab. Sie kann singen, tanzen und sich wunderbar bewegen, sieht gut aus. Außerdem haben ihre Produzenten es verstanden, die Musik vom Schlager ins Moderne zu verwandeln, ohne die alten Fans zu verprellen, aber neue hinzuzugewinnen. Bei Helene Fischer habe ich aber generell die Angst, dass sie verheizt wird.

Man sieht sie zu viel. Ich bin der Meinung, da sollte das Management wirklich mal bremsen, denn sie ist ja momentan nicht nur in sämtlichen Schlagershows zu sehen, sondern auch in der Werbung und macht ihre Tourneen. Es gibt natürlich Nutznießer davon. Ich finde aber, sie wird derzeit fast schon aufgebraucht. 

Michaela Boland: Hat sich der Anspruch der Menschen oder die Musik in erster Linie verändert?

Haluk Koudsi: Ich denke, es liegt zum Teil daran, dass man die Texte wieder verstehen möchte und die deutsche Musik hat sich natürlich auch gewandelt. In der Weise, dass sie sich der internationalen Musik angepasst hat. Die Sachen von Naidoo sind ja schon Soul, ein bisschen Gospel-angehaucht. Er kommt ja aus dem kirchlichen Bereich in Mannheim. Gruppen wie PUR haben unten in Bietigheim und Stuttgart in amerikanischen Kasernen gespielt und sind dort gewachsen. 

Sie waren auch Beatles-Fans. Darüber dass Westernhagen im Grunde amerikanische Musik ist, brauchen wir auch nicht zu reden. Das Instrumentale dahinter ist sehr englisch oder amerikanisch geworden. Weil man das ja hier eigentlich auch gerne gehört hat, sagte man dann eben, „o.k., ich nehme die deutschen Texte dazu“. Der Rap ist natürlich auch modernisiert worden.

 Erst die Fantastischen Vier haben ihn etabliert. Dann kam Fettes Brot noch raus und diverse andere. Früher gab es bei uns nur Volksmusik und Schlager. Heute gibt es eben einfach eine große Vielfalt: Hip Hop, R`n B, House-Elemente, Rock und Pop. Gerade die Vielfalt hat alle Gesellschaftsschichten wieder eingeholt. Die Mixtur macht es aus. 

Michaela Boland: Du beschäftigst dich seit den 80er Jahren, deiner Teenager-Zeit, aktiv mit Musik. Was war der Moment, in dem du beschlossen hast, Musiker zu werden?

Haluk Koudsi: Seit 1982 war ich, wahrscheinlich genauso wie du Bee Gees-Fan bist, ein absoluter Duran Duran-Fan. Ich wollte einfach genau wie sie sein, denn ich dachte mir, „die verdienen Geld, sehen gut aus und können singen“. So habe ich schon zu Schulzeiten Musik gemacht, meine Pausen am Flügel in unserer Aula verbracht. 

Michaela Boland: Hattest du zuvor Musikunterricht?

Haluk Koudsi: Nein, ich habe mir alles selbst beigebracht. Wie die meisten Leute habe ich es dann zuerst einmal in englischer Sprache versucht. Doch gegen Ende der Achtziger bzw. Anfang der Neunziger habe ich festgestellt, dass Englisch zu singen doch nichts für mich war, da ich mich nicht mitteilen konnte und mein Englisch nicht wirklich gut klang.

Michaela Boland: Hätte man daran nicht arbeiten können?

Haluk Koudsi: Schon, aber ich habe dann irgendwann damit begonnen, deutsche Texte zu schreiben. Zunächst waren es Gedichte, später dann Texte und so begann ich irgendwann damit, auf Deutsch zu singen. 

Michaela Boland: Als Schlager bezeichnet man gemeinhin leicht eingängige, instrumentalbegleitete Gesangsstücke der Popmusik mit oft deutschsprachigen, weniger anspruchsvollen, oftmals sentimentalen Texten. Das entspricht ja auch genau dem Image, das dem Schlager per se viele Jahre anhaftete.

Haluk Koudsi: Aber nicht mehr bei den Künstlern von heute.

Michaela Boland: Lässt du dir denn diese Definition für deine Musik im Hinblick auf mangelnden Anspruch auch gefallen?

Haluk Koudsi:  Nein, wir haben schon anspruchsvolle Musik. Von den Texten her ist ja nun nicht gerade, „ich liebe dich, du liebst mich nicht“. Unter meinen Stücken fanden sich zwar auch Liebeslieder, meistens Dramen, aber ebenso auch sozialkritische Stücke. Damals hat man sich sehr für Greenpeace interessiert, die Grünen kamen neu heraus. 

Ich habe zwar später mit den Grünen nichts mehr zu tun gehabt, aber damals waren sie interessant und wurden somit inhaltlich auch musikalisch thematisiert. Kernkraft oder Umweltverschmutzung. Was die Künstler von heute anbelangt, zumindest die, die wirklich etabliert sind, so machen sie dieses Banale ja auch gar nicht mehr. Selbst ein Text wie „Atemlos durch die Nacht…“ ist ja im Grunde genommen kein banaler Schlager mehr.

Michaela Boland: Was wäre nach deinem Dafürhalten im Sinne der oben genannten Definition dann ein banaler Text?  

Haluk Koudsi: Vom Wendler die ganze Scheiße. (lacht). „Sie liebt den DJ, sie liebt den DJ…“ Aber fragen wir uns mal ehrlich: Was ist Schlager? Sachen von Gruppen wie PUR gelten auch als Schlager. Die laufen bei WDR 4. Andersherum: Helene Fischer läuft auch bei WDR 4 und Marius Müller-Westernhagen ist ebenfalls kein Schlager, aber läuft genauso bei WDR 4.

Michaela Boland: Apropos Michael Wendler. Es hat den Anschein, dass er kommerziell recht erfolgreich ist.

Haluk Koudsi: War. Der hat sich ja selber abgeschossen durch dieses Dschungel-Camp usw. Man muss dazu sagen, dass er von den TV-Sendern und Medien an sich hochgehalten wird. Michael Wendler ist überwiegend im Ruhrgebiet erfolgreich. Wenn er in Bayern oder Ostdeutschland aufträte, kämen vielleicht nur 1000 Leute, hier in NRW 25.000.

Michaela Boland: Die Ole-Partyreihe mit ihm und unterschiedlichsten weiteren Größen der Party-Sektor-Szene scheint gut zu laufen. 

Haluk Koudsi: Um mal eben eine Party zu machen, dafür ist der Party- oder Pop-Schlager ganz o.k., aber die verkaufen keine Platten. Kein Mensch geht nach Hause und kauft sich dann später eine Platte von Willi Herren. Das sind Künstler, die einen Namen haben, die verdienen ihre Sporen durch Auftritte. Die Platten sind im Grunde so ein bisschen Merchandising. Niemand geht nach Hause, sitzt beim Frühstück, trinkt Kaffee und legt sich dann Michel Wendler auf. Vielleicht die Hausfrau, die auch schon mal bei Frauentausch mitgemacht hat.

Michaela Boland: Woran glaubst du lag das lange Zeit eher schlechte Image des Schlagers?

Haluk Koudsi: Das Problem an der ganzen Sache ist, dass der Schlager ja wirklich leicht gewesen ist, nämlich leicht zu schreiben und leicht arrangierbar. Zumindest der banale Schlager, der ja auch nicht mehr so erfolgreich ist. Auf diese Weise ist ja jeder drittklassige Sänger, der allein in der Badewanne sitzt und vor sich hin trällert, der Meinung, dass er tatsächlich singen könne. 

Oder, wenn er irgendwann einmal zwei Karaoke Lieder in einer Karaoke-Kabine aufgenommen hat, ist er davon überzeugt, das Singen zu beherrschen und meint, Geld damit machen zu können. Dann geht er in ein Studio, um mal eben schnell einen Schlager zu machen, weil er etwas anderes ja ohnehin nicht hinkriegt. 

Michaela Boland: Ihr habt u.a. ein Stück mit dem Titel, „Er oder ich“ herausgebracht. Da heißt es beispielsweise im Text, „Doch ich weiß, ich spür es, du bist was ganz Süßes, ich komme einfach nicht mehr von dir los“. Was genau ist darin nun das Anspruchsvolle?

Haluk Koudsi: Die Wortwahl an sich. Ich achte bei meinen Texten schon darauf, dass sie ein wenig Niveau haben. 

Michaela Boland: Der absolute Durchbruch wollte zu jener Zeit nicht so recht gelingen. Wie bewertest du deine Vorgehensweise im Rückblick?

Haluk Koudsi: In jungen Jahren habe ich womöglich den Fehler gemacht, die Musik zu machen, die ich selbst gut fand. Zwar mache ich heute auch noch Musik, die ich gut finde, überlege aber trotzdem, ob das etwas für den Markt ist oder nicht. Außerdem hat man ja heute auch seine Berater sowie die Plattenfirma die ganz klar sagen“, das ist nicht geeignet“. 

Michaela Boland: Gibt es bei dir eigentlich eine familienbedingte Disposition im Hinblick auf die Musikalität?

Haluk Koudsi: Von meinen Eltern hat niemand etwas mit der Musik zu tun gehabt. Alles absolut unmusikalische Menschen. Mein Vater ist 30 Jahre lang als Stations-Pfleger in einem Krankenhaus tätig gewesen und hat nur schief gesungen, meine Mutter war Hausfrau. Sie war in Istanbul allerdings ausgebildete Lehrerin.

Michaela Boland: Hast du noch Geschwister?

Haluk Koudsi: Ja, einen zwei Jahre jüngeren Bruder. Er ist kaufmännischer Angestellter und mittlerweile Abteilungsleiter in seinem Betrieb.

Michaela Boland: Du selbst bist 1972 in Hilden geboren. Kommt deine Familie ursprünglich aus der Türkei?

Haluk Koudsi: Meine Mutter war Türkin, mein Vater ist Syrer.

Michaela Boland: Sprichst du beide Sprachen deiner Eltern?

Haluk Koudsi: Türkisch ja, Arabisch nur zu 40 Prozent. Wenn ich muss, kann ich mich verständigen, ansonsten traue ich mich nicht. Wenn ich mit meinen Cousins aus Syrien skype, mittlerweile leben sie in der Türkei, denn sie sind ja alle geflüchtet, dann spreche ich Englisch und sie antworten auf Arabisch.

Michaela Boland: Hast du selbst denn dein ganzes Leben bisher in Deutschland verbracht?

Haluk Koudsi: Fast. 1978 kamen meine Eltern nämlich auf die Idee, nach Syrien zurückzuwollen. Meine Mutter, mein Bruder und ich sind schon vorgereist, weil wir dort einen neuen Haushalt aufbauen sollten, mein Vater musste hier noch seinen Arbeitsvertrag erfüllen. Dann haben meine Mutter mein Bruder und ich für zwei Jahre in Syrien gelebt.

Michaela Boland: Welche Erinnerungen hast du noch an die Zeit?

Haluk Koudsi: Dass der Krieg zwischen dem Libanon und Syrien ausgebrochen ist und wir deshalb zurückkamen. 

Michaela Boland: Waren es also ausschließlich schlimme Erinnerungen, die du mit dieser Zeit verbindest?

Haluk Koudsi: Nein. Es ist schon ein schönes Land, muss man ja ehrlich sagen. Meine gemeinsame Kindheit mit all den Cousins war sehr schön. Wir sind eine Großfamilie. Es ist ja eine adelige Familie gewesen. Wir hießen auch früher „al Koudsi“, quasi wie „von Koudsi“ und mein Ur-Großvater, Nazim al-Kudsi, war früher syrischer Staatspräsident. Er wurde von Assad (Anm. d. Red.: Hafiz al-Assad) gestürzt.

Michaela Boland: Von wann bis wann war das?

Haluk Koudsi: Von 1961 bis 1963. Er hat dann später im Exil in Jordanien gelebt und ist dort auch verstorben.

Michaela Boland: Hatte dieser Umstand für dich noch irgendwelche Auswirkungen?

Haluk Koudsi: Nein, aber mein Vater ist bei der Einreise nach Syrien einmal verhaftet worden. Er wollte dort Urlaub machen. Sie suchten nämlich einen Namensgleichen, haben ihn verhaftet und dann aber festgestellt, dass er es nicht sein kann, weil der Gesuchte 22 Jahre alt sein sollte, mein Vater aber schon 40 war.

Michaela Boland: Was hast du selbst damals vom Krieg mitbekommen?

Haluk Koudsi: Ich erinnere mich noch daran, wie unser Haus durchsucht worden ist, und wie es Einschüsse in die Fensterscheiben gehagelt hat. Wir mussten uns auf den Boden legen. Die Wohnung wurde auch quasi gebrandmarkt. An der Türe wurden mit Kreide Kreuze angebracht, um zu verdeutlichen, dass sie bereits durchsucht wurde.

Michaela Boland: Verfolgst du denn die Politik Syriens regelmäßig?

Haluk Koudsi: Ja, ich verfolge schon die Politik. Es tut einem auch leid, wenn man so wie jetzt sieht, dass der älteste Bazar der Welt in Aleppo an zwei Enden zerstört wird. Es wird hier im Westen nicht alles mitgeteilt. Und mein Vater schaut natürlich Al Jazeera und wenn wir zusammen sitzen, dann erzählt er schon mal davon.

 Von meinen Cousins erfährt man auch manchmal etwas. Allerdings bekommen sie natürlich nicht alles mit, da sie ja jetzt in der Türkei leben. Sie haben die doppelte Staatsbürgerschaft, die türkische und die syrische, denn als das Gebiet früher zum osmanischen Reich zählte, kam meine Oma von der türkischen Seite aus Aleppo. Deshalb hatten alle sogleich beide Staatsbürgerschaften und konnten ganz normal in die Türkei einreisen.

Michaela Boland: Wie war es für dich, zurück nach Deutschland zu kommen?

Haluk Koudsi: Wir hatten die deutsche Sprache komplett verlernt und konnten nur noch Arabisch. Aber die syrische Kultur wurde komplett gekappt. Ich wurde in die dritte Klasse eingeschult und weiß nur noch, dass mein Vater meinem Bruder und mir sagte, „wir sind jetzt wieder in Deutschland und wollen auch nicht mehr in dieses schreckliche Land Syrien zurück. 

Wir werden jetzt Deutsche und ihr werdet jetzt nur noch Deutsch sprechen, auch zu Hause. Alles wird jetzt Deutsch sein. Feierabend“. Seither wurde zu Hause mit unserem Vater auch nur noch Deutsch gesprochen. Das ist bis heute so geblieben. Unsere Mutter sprach schon noch Türkisch mit uns. 

Michaela Boland: Du bist selbst Vater von vier Kindern. Ist es dir wichtig, ihnen auch ein Stück der arabischen Kultur zu vermitteln?

Haluk Koudsi: (lacht) Die können noch nicht mal Kölsch.

Michaela Boland: Wie alt sind die Kids?

Haluk Koudsi: 10 und 7, die Zwillinge sind erst sieben Monate alt. 

Michaela Boland: Hast du deine Gattin einst im Musikbereich kennengelernt?

Haluk Koudsi: Nein, sie war Vorstandssekretärin bei der Landeszentralbank in Düsseldorf und kellnerte  ab und zu zum Spaß in einem Laden, in dem ich einmal auftrat, um Menschen kennenzulernen.

Michaela Boland: Du bist auch schon gemeinsam mit Schlager-Legende Jürgen Drews aufgetreten. Er betätigt sich seit vielen Jahren erfolgreich auf dem Party-Sektor. Die Party-Schlager haben seit vielen Jahren gerade auf Mallorca, aber ebenso bei jedweder Apres Ski-Feier Hochkonjunktur. Hat sich dir dieses Genre jemals erschlossen?

Haluk Koudsi: Hast du schon mal Micki Krause gehört? Er hat jetzt gerade ein Lied herausgebracht, in dem es irgendwie um Bier geht. Also, das ist vom Text her noch banaler. Bei dieser Musikrichtung geht es beispielsweise nicht mehr um Liebe, sondern um saufen, grölen und viel Hejooh. So, dass die Leute, wenn sie einen gewissen Pegel erreicht haben, es auch mitsingen können.

Michaela Boland: Kann man sagen, dass seit man innerhalb dieser Musik mit mehr Off-Bass zwischen den ersten Takten arbeitet, der musikalische Bereich des Partysektors einen ganz schönen Schub erfahren hat?

Haluk Koudsi: Eigentlich schon seit Ibo (Anm. d. Red.: Schlagersänger, 2000 bei einem Autounfall in Österreich ums Leben gekommen). Sein Song, „Ibiza“ war ja der erste Song, der heute als Pop-Schlager gewertet wird. Ibo hat tatsächlich als erstes diese achte Base Drum hineingebracht. Vorher war im Grunde genommen nur „Naturschlagzeug“ angesagt. 

Allerdings wesentlich leiser, ähnlich wie noch in den Siebzigern, nur ein wenig darunter gemischt. Beispielsweise wie bei den Stücken von Roland Kaiser.  In jedem Fall war Ibo der erste, der den Pop-Schlager etabliert hat. Erst danach sind ja diese ganzen Künstler wie Olaf Henning, Matthias Carras oder Sandy Wagner gewachsen. Das waren zumindest diejenigen, die anschließend bei Uwe Hübner in der Hitparade auftraten und mit noch stärkeren Base Drums arbeiteten als Ibo. Mit Ibos Bruder, Cäsar, habe ich mal zusammen Musik gemacht. Was diesen Partyschlager anbelangt, so kann man aber sehen, dass er wieder abnimmt.

Michaela Boland: Woran wird das festgemacht?

Haluk Koudsi: Nachwuchs wird beispielsweise gar nicht mehr genommen. Selbst von den DJs nicht mehr. Es waren ja seinerzeit die DJs, die die ganzen Künstler von hier nach Mallorca geholt haben. Z.B. Micki Krause, Tim Toupet oder Jürgen Drews, nachdem dieser zusammen mit Stefan Raab und „Ein Bett im Kornfeld“ erneut ganz groß raus gekommen war. All das nimmt aber derzeit stark ab, insbesondere deshalb, da neue Künstler nicht mehr nachkommen. Sie werden auch von jenen DJs nicht mehr akzeptiert.

Michaela Boland: Aus welchem Grund?

Haluk Koudsi: Man will es nicht mehr. Man möchte auch auf Mallorca diese Musik nicht mehr haben. Die bereits Etablierten haben natürlich jetzt noch ihre Auftritte und die ziehen auch noch. Aber heute geht der Trend tatsächlich auch auf Mallorca eher dahin, dass man lieber Sachen wie beispielsweise die von Avicii spielt. Man holt sich nun eher DJs wie DJ Antoine dorthin als diese Gröl-Party-Geschichten. 

Hinzu kommt natürlich auch, dass sich die Gesetzeslage auf Mallorca dahingehend geändert hat, dass man draußen am Strand nun keinen Alkohol mehr trinken darf. Genauso wenig darf man noch in Badehose auf den Straßen herumlaufen. Somit ist alles in die Clubs hineingezogen worden. Zwar wird die ganze Sache nun so ein bisschen an den Goldstrand nach Bulgarien verlagert, aber Nachwuchskünstler gibt es keine mehr. In zehn Jahren wird der Partysektor auf Mallorca aussterben. 

Michaela Boland: Was hörst du privat für Musik?

Haluk Koudsi: Alles. Ich höre Klassik, Rock, Hard Rock und Metal von Metallica, Linkin Park, genauso wie alten Pop von Duran Duran und Spandau Ballet oder Keisha oder Pink.

Michaela Boland: In diesem Jahr feierst du nun zehnjähriges Jubiläum mit deiner Band „Paradies“. Offensichtlich hast du den Solo-Pfad irgendwann aufgegeben und dich mit deinem Musik-Partner zusammengetan. Wie kam es dazu?

Haluk Koudsi: 2004 habe ich Ingo Himmelmann über eine Anzeige kennengelernt. Wir haben zuerst experimentelle Musik gemacht, also 80-er Jahre Musik, New Romantic. Das entsprach in etwa so der Musik der Anfänge von Bands wie Depeche Mode, Duran Duran oder Spandau Ballet. Zuvor war die Musik Ende der 70er Jahre ja sehr stark durch Punk, z.B. die Sex Pistols etc. geprägt.

 Und die Jungs Anfang der 80er sind dann aber ganz schnieke und geschminkt daher gekommen und haben eine musikalische Mischung aus David Bowie und Musik mit sehr vielen Synthesizern, also recht vielen „Kraftwerk“-Instrumenten und wenigen Gitarren gemacht. Und wir haben das Ganze eben auf Deutsch versucht. Letztendlich war es allerdings Musik, die keine Sau interessiert hat. 

Vor drei Jahren habe ich nochmal eine Solo-CD gemacht, „Katharina“. Die ist aber gefloppt. Ingo und ich hatten dann schon eine Weile zusammengearbeitet als wir irgendwann Uwe Hübner (Anm. d. Red.: ehemaliger Moderator der legendären ZDF-Hitparade) kennenlernten. Ihm hatte ich bei einer Schlagerveranstaltung in Köln eine CD von uns in die Hand gedrückt. Die fand er gut und setzte sich mit mir in Verbindung. Er sagte, „Mensch, das ist gute Musik, aber mach doch mal einen Disco Fox“. 

Michaela Boland: Wollte Hübner euch dazu bewegen, eure Musik tanzbarer zu machen?

Haluk Koudsi: Ja, vollkommen richtig. Also habe ich mit meinem Kollegen Ingo darüber gesprochen, doch er hat es zunächst abgelehnt. Ich war der Meinung, dass wir einfach mal etwas wagen sollten, da wir schon vier Jahre mit unserer Musik unterwegs waren, die Interessentenzahl sich in Grenzen hielt und wir ja womöglich durch diesen Versuch die Chance gehabt hätten, ein wenig kommerzieller zu werden.

Michaela Boland: Dass eure Musik aber auch schon zuvor gut ankam, belegt doch der Umstand, dass ihr jede Menge Live-Auftritte, wie beispielsweise allein in Gelsenkirchen vor 9000 Zuschauern, vorweisen konntet. 

Haluk Koudsi: Richtig. Wir haben auch für Uwe Hübner schon diverse Auftritte gemacht. Auch solche zusammen mit Kollegen wie Jürgen Drews oder Christian Anders. Zum guten Schluss jedenfalls haben wir dann tatsächlich einen Disco-Fox-Titel produziert. Kurze Zeit später fand erneut ein Schlagerevent mit Uwe Hübner in Köln statt. Dort hieß es dann, dass der letzte geplante Auftritt des Abends demjenigen Künstler vorbehalten sei, der im Rahmen einer Art Tombola gezogen würde. 

Ich füllte also einen Teilnahmezettel für unsere Band, „Paradies“, aus und gab ihn ab. Genau dieser Zettel wurde später gezogen. Wir haben irgendwann einmal erfahren, dass das kein Zufall war, aber Hübner hat sich so für uns interessiert, weil er schon seinerzeit ein Schlagerportal führte, das sich „Hitparadies“ nennt. Parallel dazu gibt es auch noch die Hitparadies-Zeitung.

Michaela Boland: Hübner hat ja einige Jahre die über lange Zeit erfolgreiche ZDF-Hitparade moderiert und dürfte Ahnung von der Materie gehabt haben.

Haluk Koudsi: Das ZDF hat ja die Sendung einfach abgesetzt, wie er mir damals erzählt hat, weil es nicht mehr zeitgemäß gewesen und auch die Zuschauerzahlen runtergegangen seien.

Michaela Boland: Wie ging es für euch weiter?

Haluk Koudsi: Durch Uwe Hübner sind wir eigentlich in die Schlagerschiene hineingerutscht. Wir machten beim Künstlercontest mit und belegten unter 600 Teilnehmern den dritten Platz. Durch Hübner kam es dann bei uns zu solchen Dingen wie „engelsgleicher Duft“. Das Video hierzu habe ich auch selbst gedreht. Ich verstehe zumindest mein Handwerk, ich komponiere und produziere selbst, ich texte, drehe häufig selbst Videos und manage die Band.

 Wir arbeiten uns Stück für Stück voran und nach oben. So haben wir mit Paradies 2013 bei der Müller Music Group einen Bandübernahmevertrag unterschrieben. Das ist eine Plattenfirma, die zu DA Music gehört. Münchener Freiheit oder Rosenstolz sind dort. 

Michaela Boland: Ihr habt ein neues Album fertig. Wann dürfen wir mit dem Erscheinen rechnen?

Haluk Koudsi: Als erste Single haben wir daraus bereits den Titel „Entlieben“ ausgekoppelt. Das lief auch in den Radiostationen. Bei HR 4, Bayern plus, RBB und NDR 1. Wir haben einen Radiopromoter aus Berlin, der das gut untergebracht hat. Dieter Pön. Er hat auch schon unseren früheren Titel „engelsgleicher Duft“ bei „Gute-Laune-TV“ und „Sky“ aufgestellt und außerdem hat es der Song auch zwei Wochen lang auf Platz 1 der Fan-Hitparade geschafft. Den zweiten Titel des Albums brachten wir dann mit „Atemzug“ heraus. Das komplette Album wird dann voraussichtlich 2015 veröffentlicht.

Michaela Boland: Was muss man deiner Meinung nach tun, um Chart-Entries zu bekommen?

Haluk Koudsi: Selber die Platten kaufen (lacht). Das haben die Beatles gemacht und auch Take That. Nein, es ist schwer. Wahrscheinlich muss man einfach viele Live-Auftritte machen, sehr viele Konzerte geben und im Radio präsent sein, aber gleichzeitig ein paar Fernsehauftritte bekommen. Für uns wäre beispielsweise der Fernsehgarten interessant, oder „Immer wieder sonntags“. Damit hat es aber bisher noch nicht geklappt. 

Michaela Boland: Was steht in nächster Zukunft an?

Haluk Koudsi: Wir haben in Kürze einen größeren Auftritt in Leverkusen bei Saturn und im Rathauscenter. Wir haben auch weitere Konzerte geplant und sammeln so unsere Zuschauer Stück für Stück.

Michaela Boland: Lieber Haluk, dafür wünsche ich euch viel Glück. Vielen Dank für dieses Interview.

Michaela Boland ist Journalistin und TV-Moderatorin. Bekannt wurde sie als Gastgeberin der Sommer-Unterhaltungsshow „HOLLYMÜND“ des Westdeutschen Rundfunks Köln. Seit 1988 schrieb sie für die Rheinische Post, unterschiedliche Publikationen der WAZ-Gruppe Essen, Bayer direkt und Kommunalpolitische Blätter.

Außerdem präsentierte sie die ARD-Vorabendshow „STUDIO EINS“ und arbeitete als On-Reporterin für das Regionalmagazin „Guten Abend RTL“. Auf 3-Sat, dem internationalen Kulturprogramm von ARD, ZDF, ORF und SRG, moderierte sie die Kulturtalkshow „Doppelkopf“, sowie für TV NRW, die Casino

Show „Casinolife“ aus Dortmund-Hohensyburg. Michaela Boland arbeitet auch als Veranstaltungsmoderatorin und Synchron- sowie Hörspielsprecherin.

 

Für die Gesellschaft Freunde der Künste moderiert sie den Kaiserswerther Kunstpreis sowie alle großen Kulturveranstaltungen der Gesellschaft.

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